Fragment aus grau-blauem Marmor Ober-und Unterteile abgebrochen. Der Stein wurde im Jahre 1970 in Erythrai, heute ildin Köyü während der Ausgrabungen freigelegt. Jetzt befindet er sich im Depot des archäologischen Museums von Izmir, noch ohne Inv. H. 0,30 m; Br. 0,34; D. 0,20 m; Bh. 0,03 m.
Stoichedon, je Zeile 20 Buchstaben.
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.λησ…..
ντων έν [ Έρ ]υθρα[ ϊ]ς, [δεδόχθ]-
αι τώι δήμων μή έξεϊνα[ι τ]-
ών στρατηγών διαλλάξαι
5 μηθεν'ι πρδς τούς έν τη πό-
λει άνευ τοϋ δήμου τδ ’Αθη
ναίων· μηδέ τώμ φυγάδων, ο
ύς αν έξελάσωσιν Ερυθρά-
ϊοι, μηδεν'ι έξείναι κατά-
10 γειν ές ’Ερυθρός άνευ τοϋ
δήμου τοϋ ’Ερυθραιών· περ-
ί δέ τοϋ μή έκδίδοσθαι Έρ-
υθραίους τοϊς βαρβάροι-
ς, άποκρίνασθαι τοϊς Έρυ-
15 θραίοις, δτι δέδοκται [τώ]-
ι δήμωι τώι ’Αθηναίων ...
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Gegenstand dieser leider nur fragmentarisch erhaltenen Inschrift sind Ereignisse in ionischen Städten zwischen den Jahren 394 und 386. Um die Inschrift unter dem Gesichtspunkt ihrer historischen Begebenheiten zu verstehen, fasse ich Ereignisse dieser Zeit hier kurz zusammen[2].
Am Ende des peloponnesischen Krieges fielen viele ionische Städte von Athen ab und schlossen sich Sparta an. Erythrai wandte sich schon im Jahre 413 an Sparta[3] und stand seit diesem Datum unter spartanischen Harmosten. Erst nach dem Sieg des athenischen Admirals Konon im Jahre 394 bei Knidos wurde auch in Erythrai, wie in vielen anderen Städten Kleinasiens, das demokratische Regierungssystem eingeführt[4], die Harmosten und Oligarchen ver-jagt. Der Demos von Erythrai ehrte daraufhin Konon als εύεργςτης καί πρόξενος ’Ερυθραιών[5].
Nach der Rückkehr Konons nach Athen wurden die Städte Ioniens wieder Schauplatz der politisch- militärischen Auseinan-dersetzungen zwischen Athen, Sparta und Persien. Dementsprechend wechselte auch die Ausübung der Macht in den Städten zwischen Demokraten und Oligarchen hin und her. Schließlich aber gelang es Thrasyboulos, der sich um die Wiederherstellung des attischen Seebundes bemühte, überall in Ionien die Oligarchen zu vertreiben und den Anschluß der Städte an Athen wiederherzustellen[6]. Aber er wurde während einer Expedition bei Aspendos[7] erschlagen. Bald danach machte ein Vertrag zwischen Sparta und Persien, der sogenannte Königsfriede[8], die Unabhängigkeitsbestrebungen der ionischen Städte, zugleich auch die Ansprüche Athens in Kleinasien zunichte und so kam ganz Kleinasien im Jahre 386 V. Chr. endgültig unter persische Herrschaft.
Das Dekret für Erythrai, das ich hier behandele, dürfte kurz vor diesem Friedenschluß, bzw. Während der Operationen des
Thrasyboulos verschlossen worden sein, ähnlich wie das attische Dekret für benachbarte Stadt Klazomenai aus dem Jahr 387[9], mit welchem unser Dekret gewisse Ähnlichkeiten hat. In beiden Städten herschten zu dieser Zeit fast identische Situationen. Die Demokraten, die sich als Verbündete Athens betrachteten, hatten wieder die Macht übernommen, die Oligarchen wurden verjagt. Aber die Verhandlungen zwischen Sparta und Persien beunruhigte die De-mokraten, und Athens Unterstützung wurde für sie umso unent-behrlicher. Sie wollten von Athen Zusicherungen darüber, daß man Erythrai nicht den “Barbaren” (den Persern) ausliefern werde.
Der erhaltene Teil des attischen Dekrets für Erythrai enthält nur die Bedingungen über “die in der Polis” (sicher die Oligarchen) und die Verbannten. Nach den Zeilen 3-7 darf keiner der (athenischen) Strategen mit “denen in der Burg” ohne Erlaubnis der Athener verhandeln. Anscheinend ist die Polis (die Burg) noch in der Hand der Oligarchen; die Demokraten und ein attisches Hilfscorps haben die übrige Erythrai in Besitz und belagern die Burg. Vergleichbar ist im Dekret für Klazomenai der Zwist zwischen den (demokratischen) “Klazomeniern” auf der Insel und “denen in Chyton”, d. h. den Oligarchen (dort Zeile 8-11).
Nach den Zeilen 7-11 des neuen Textes durften die Strategen “die Verbannten” (Oligarchen) nicht ohne Erlaubnis der Erythräer zurückführen. Eine entsprechende Bestimmung steht auch im Dekret für Klazomenai (Zeile 11-13). In unserem Text ist die Bedeutung von μηδέ τώμ φυγάδων - -κατάγειν in Zeile 7 nicht ganz klar. Wahrscheinlich ist der Sinn: μηδέ τώμ φυγάδων ... (μηδένα) μηδεν'ι (των στρατηγών) έξεϊναι κατάγειν εις Έρυθράς.
Es ist zu vermuten, daß sich auch Erythräer, wie Klazomenier[10], mit der Zahlung der fünfprozentigen Bundessteuer (εικοστή), die von Thrasyboulos eingeführt wurde, einverstanden erklärt haben. Dies und weitere Angaben über die ökonomisch - politischen Bedingungen des Bündnisses zwischen Erythrai und Athen sind leider nicht erhalten. Aber wir dürfen hoffen, daß die türkische Ausgrabungen in Erythrai neben vielen anderem vielleicht auch noch für dieses bedeutende Dokument eine aufhellende Ergänzung bringen werden.