Der Sammelfund von über 2000 Bronzeblechen, die über eine Reihe von Museen und Privatsammlungen der Welt verstreut sind, wurde nach übereinstimmenden Berichten[1] bei der Steingewinnung in Giyimli, 30 km. ostwärts der Stadt Gürpınar in der Gegend des Van-Sees, gefunden. Auf den bisher bekanntgewordenen Votivblechen sind unterschiedliche Szenen dargestellt, die hauptsächlich wohl Kulthandlungen in Verbindung mit dem Jenseitsglauben der Urartäer schildern[2]. Unter diesen nimmt die sog. Bankettszene einen wichtigen Rang ein. Sie zeigt eine thronende bzw. stehende Gottheit vor einem Tisch oder Altar mit Speisen und den auf sie zu schreitenden Adoranten mit Opfergaben. Dieses Thema hat zwar in der altvorderasiatischen Kunstgeschichte bereits im 3. Jt. v. Chr. eine große Rolle gespielt[3], in Anatolien ist es jedoch erst seit dem Anfang des 2. Jt. V. Chr. Anzutreffen[4], so daß es im 1. Jt. v. Chr. nochmals in Mode kam und in der urartäischen Kunst ebenso wie bei den anderen gleichzeitigen Kulturen gern dargestellt wurde[5]. Die Szene auf einem der oben erwähnten urartäischen bronzenen Votivbleche zeichnet sich vor allem durch die hinter und unter dem Thron sich windende Schlange aus (Abb. 1). Aus diesem Grund soll dieses unten beschriebene Blech besonders behandelt werden.
Diese Platte wird vermutlich in einer privatsammlung aufbewahrt[6]. Obwohl das obere Viertel und die untere rechte Ecke abgebrochen und verlorengegangen sind, ist uns jede Figur der Szene gut erhalten geblieben. Auf hohem Thron mit Lehnen, hinter dem sich eine Schlange ringelt, sitzt eine Figur unt hält in der erhobenen Hand eine Schale, in der anderen ausgestreckten eine Gebestskette (?). Der zum Thronenden schreitende erste Betende in einem mittellangem Gewand und mit spitzem Hut auf dem Kopf erhebt beide Arme zum Gebet. Dazwischen befindet sich ein Tisch mit gekreuzten Beinen, auf welchem einige Fladenbrote liegen. Die dritte Gestalt, die ebenfalls ein langes Gewand trägt und in der erhobenen Rechten ein Symbol hält, während die linke Hand ausgestreckt ist, folgt dem Betenden. Dahinter führt ein anderer Adorant in langem Gewand mit spitzem Hut auf dem Kopf einen Bock; seine beiden Arme sind betend erhoben wie bei der ersten Gestalt des Zuges. Vor ihm sieht man einen Altar. Die mit einem merkwürdig langen Gegenstand versehene kleinste Figur der Szene ist über dem Steinbock im Feld dargestellt.
Auf den ersten Blick fällt die auf einem Thron mit hoher Rückenlehne sitzende Figur auf. Leider ist ihre Kopfbedeckung nicht gut erhalten; deshalb kann man daraus nicht schließen, ob es sich um ein göttliches oder menschliches Wesen handelt. Die in beiden Händen gehaltenen Gegenstände, nämlich Schale und Kette, tragen auch nicht zum Verständnis seiner Persönlichkeit bei. Man ist davon überzeugt, daß sich beide Gegenstände auf anderen zahlreichen urartäischen Denkmälern, vor allem auf Gürteln und Votivblechen, nicht nur in der Hand einer sitzenden Figur[7], sondern auch bei Gabenbringenden oder Betenden[8] finden. Wichtig ist ferner, daß Schale oder Becher bei den aus dem späthethitischen Kulturbereich stammenden Grabdenkmälern des i.Jt. v.Chr. von dem Totenselbst gehalten wird[9], während sie auf dem Orthostatenrelief vom König oder von einer Person des königlichen Gefolges beim Fest getragen wird[10]. Ähnliches ist auch bei den neuassyrischen[11] and achämenidischcn[12] Beispielen zu beobachten. Es stellet sich eindeutig heraus, daß der Tronende auf dem Blech durch keine Attribute als Gott oder Genius gekennzeichnet ist. Deswegen muß man die ganze Szene berücksichtigen, um die Persöhnlichkeit der thronenden Figur zu deuten. Sicher ist, daß die Szene, im Ganzen gesehen, nun verblüffend viele Einzelmotive mit den Bildern auf den akkadischen Beispielen dieses Themas[13] und den erwähnten Gegenständen gemeinsam hat: den Thronenden, einen Altar bzw. Opfertisch mit Opfer darauf und die zu dem Thronenden gewendeten Figuren.
Die nach links gerichtete bartlose erste Gestalt im Adorationsgestus steht der thronenden Gottheit gegenüber. Sie erhebt beide Arme, die etwas weiter vom Körper abgewinkelt sind[14]. Wenn man sich bei anderen urartäischen Denkmälergruppen umsieht, stellt sich eine wichtige Tatsache heraus, daß nämlich nicht nur der menschliche Betende bzw. Opferbringende[15], sondern auch die Gottheit mit oder ohne Opfergabe[16] bei einer Kultszene in solcher Gebetshaltung wiedergegeben werden kann. So ist es unmöglich, die Person des Adoranten auf dem Blech genauer zu bestimmen; er trägt eine hohe konische Mütze ohne Hom. Unter den zu-tage geförderten Gegenständen sind mir mehrere mit einer Kultszene versehene Beispiele bekannt, wo solche Kopbedeckungen sowohl auf dem Kopf des Gottes[17], als auch auf dem hochgestellter Wesen[18] zu sehen ist. Wichtig ist aber zu beobachten, daß nur die Göttermütze durch ein einziges Hom von dem einer irdischen Gestalt getragenen Hut unterschieden ist, obwohl wir auch Götterdarstellungen mit einer hornlosen Kopfbe-deckung kennen[19]. Der Betende trägt ein mittel langes verziertes Gewand, doch kann auch die Länge des Gewandes kaum zum Verständnis der dargestellten Persönlichkeit beitragen. Mann kann also in den urartäi- schen Kunst keine regelhafte Unterscheidung zwischen dem göttlichen und dem menschlichen Gewand erkennen: ein langes oder auch mittellanges Gewand wird von einer göttlichen Figur getragen, aber auf anderen Darstellungen begegnet das selbe Gewand als Bekleidung von Menschen. Innerhalb einer Szene allerdings unterscheiden sich Menschen und Götter durch ihre Kleidung oder zumindest durch Details in der Ge-wanddarstellung. Wenn man die Kleidung der Figuren auf unserem Blech nochmals beocbachtet, stellt sich wohl heraus, daß mittellange Gewänder von der ersten, dritten und vierten stehenden Figur getragen zu werden scheinen, während die heiligen Wesen, nämlich Thronender und Symbolträger, lange Gewänder tragen.
Die zweite Figur des Zuges fällt durch den von ihr getragenen Gegenstand auf. Der obere Teil der Bronzeplatte ist abgebrochen und verlorengegangen. Soweit die Reste zeigen, handelt es sich hierbei um ein Viereck auf einem Stab, welches auf anderen urartäischen Votivblechen häufig wiedergegeben wird[20]. Dieses Motiv steht den neuassyrischen[21], achämenidischen[22] und einigen späthethitischen[23] Beispielen, die uns erst bei einer Darstellung aus kassitischer Zeit begegnen[24], nahe. Im Unterschied zu dem als “Fächer” bezeichneten[25] Motiv bei den soeben erwähnten Kulturen ist die Platte des Motives in der urartäischen Kunst mit dem Stab stets in der Mitte verbunden. Ferner ist das Quadrat öfters mit einziehenden Seiten dargestellt. Es ist also ein rein urartäisches Motiv, das ausserhalb des urartäischen Bereiches nicht wieder anzutreffen ist. An-hand der bisherigen urartäischen Werke ist sein Symbolsinn nicht faßbar: sie lassen aber klar erkennen[26], daß dieses Motiv einerseits von den durch die Hömerkrone als Gott gekennzeichneten Figuren[27] und andererseits von Frauen mit oder ohne Schleier[28] oder selten von Mischwesen[29] getragen wird. Interessant ist zu beocbachten, daß nicht nur die menschlichen— sondern auch die göttlichen Wesen wohl ein Opfertier bzw. einen Steinbock dabei haben; in diesem Falle sind sie isoliert dargesteilt, während die Frauen vor einem Gott, das Opfer darbringend, stehen. Dagegen gibt es aber auch einige Stücke, wo beide ohne Opfertier vor einem Gott betend wiedergegeben sind. Sie nehmen also einwandfrei in einer Kultszene, nicht beim Fest, einen besonderen Platz ein. Daraus ergibt sich, daß es sich bei diesem Motiv eher um ein sinnbezogenes Symbol als um einen Fächer handelt[30].
Was hat nun dieses Motiv, dessen Charakter wir in der urartäischen Kunst untersucht haben, für eine Bedeutung? Die Frage ist nicht einfach zu beantworten[31]. Wenn man aber allein das Viereck berücksichtigt, welches auf den ersten Blick mit seinen eingebogenen Seiten auffällig ist, so ergibt sich bei der Betrachtung eines solchen Motives in der urartäischen Kunst ein wichtiger Aufschluß: wie Hancar schon betont hat[32], taucht ein großes Quadrat sowohl in der urartäischen als auch in der neuassyrischen Kunst vor allem bei Wandmalereien auf, wo es entweder zwischen den meist in die Knie sinkenden Tieren dargestellt ist oder von zwei Mischwesen flankiert bzw. befruchtet wird[33], wie bei der Szene in Verbindung mit dem Lebensbaumkult[34]. Auf einem urartäischen Pektorale dient es als ein ornamentales Motiv[35], dessen jede Ecke mit einer Rosette gekrönt ist. Interessant ist zu bemerken, daß eine ähnliche Plazierung auch bei fast allen anderen quadratischen Symbolen auf den Votivblechen zu beabachten ist[36]. Schließlich trifft man ein solches Quadrat in den unterirdischen Grabanlagen der Van- Felsen an, wo jede Nische an den Wänden seitlich in Rahmenhöhe damit versehen wird[37]. Aus den angeführten Beispielen geht also deutlich hervor, daß dieses Symbol mit Sicherheit religiös- kultisch ist. Erinnern wir uns nochmals der Tatsache, daß die in der Mitte mit dem Stab verbundene eingebogene Platte auch jeweils in der Kultszene als getragenes Symbol dient. Damit scheint nun, daß es sich bei diesen um unterschiedliche Erscheinungen desselben Motives handelt; nämlich um ein Quadrat mit einziehenden Seiten mit oder ohne Stab.
Die Frage nach dem Geschlecht der das Symbol hochhaltenden Figur auf unserem Blech beantwortet vor allem ihr Gewand; es ist ein langes reiches Gewand, dessen untere Kante mit Fransen verziert ist. Soweit für uns erkennbar, besteht der Haubtunterschied zwischen den Frauen- und Männergewändem in der urartäischen Kunst darin, daß der hintere Saum des langen Frauengewandes im allgemeinen zipfelförmig weiterläuft. Daraus darf man schließen, daß hier eine männliche Figur dargestellt ist. Aufgrund der Tatsache, daß dieses Symbol, wie wir schon festgestellt haben, außer von Frauen auch von göttlichen Figuren und Mischwesen aber auch von Männern getragen wird, dürfte es sich hierbei eher um eine männliche Gottheit oder Genius als um eine irdische Männerngestalt handeln.
Die Szene wurde durch zwei Figuren erweitert. Die größere dargestellte Gestalt erhebt beide Arme, ist in einem mittellangen Gewand wiedergegeben und trägt eine spitzzulaufende Mütze wie bei der ersten Figur des Zuges. Die Gestalt führt einen Steinbock herbei. Wenn man sich bei anderen urartäischen Denkmälergattungen umsieht, so trifft man solche Figuren sehr oft an; sie befinden sich entweder direkt vor dem sitzenden oder stehenden Gott[38] oder sie werden von einer Gestalt zur Gottheit geführt[39] oder sie sind völig isoliert[40]. Meist ist es ein menschliches Wesen, manchmal wird es als eine Gottheit gekennzeichnet[41]. Das Opfertier kann von einer gefürt werden[42], wie hier, oder auch auf dem Arm getragen werden[43]. Interessant ist immer noch die Bemerkung von Huff[44], daß bei allen urartäischen Werken, auf denen eine Tieropferung wiedergegeben ist, nur Ziege bzw. Steinbock als Opfer dargebracht werden. Ein einziges Beispiel ist mir bekannt, wo zwischen den beiden Gottheiten eine Kuh in einer Kultszene als Opfertier dargestellt wird[45]. Diese Tatsache steht im Widerspruch zur Opferliste, die wir aus der Inschrift des Mithras Tores in der Gegend von Van erfahren. Ihre Erklärung ist immer noch trotz der zahlreichen heute bekannten Beispiele unklar. Der Opferbringer auf unserem Blech scheint kleiner als die anderen Stehenden dargestellt zu sein. Mit den nahestehenden Parallelen, die bei den Orthostaten aus Malatya[46] und Kargamis[47] auftauchen, läßt sich kaum erklären, daß es sich hierbei um eine weniger bedeutende Gestalt handelt. Zwar ist eine solche Figur in der urartäischen Kunst selten, sie kommt aber auf Abroi- lungen von Siegeln auf Toprakkale und Bastam[48]- ein Mann hält einen Schirm über einen vor ihm Stehenden- und auf drei Rollstempelsiegeln[49]- dem Führer folgt eine mit einem Opfertier-, schließlich auf der Grabfassade von Doğu Beyazit[50]- sie zeigt auch eine ähnliche Szene-, vor. Bei der Betrachtung der letzten Beispiele und den erwähnten Parallelen stellt sich eindeutig heraus, daß der Betende in Gebetsstellung oder bei der Libati- onsszene vor einem Gott von einem Diener bzw. Opfergeber, der das Opfertier herbei führt, begleitet wird. Also ist die grundsätzliche Übereinstimmung mit späthethitischen Anbetungsszenen aus Malatya und Karga- mis, beide Ortschaften sind mehr hethitisch als andere Städte[51], bei der Szene auf unserem Blech evident. Das Thema des Bleches kann auch Aufgrund der einzelnen Komponenten als eine Opferzeremonie beschreiben werden, die einwandfrei von einer die sitzende Figur grüßenden Person angeführt wird. Diese Szene läßt sich unschwer als ein im ganzen Orient schon seit dem 3. Jt. v.Chr. geläufiger Typus der Opferszene, nämlich einer Tieropferung, erkennen[52]. Es handelt sich jedoch bei den urartäischen und den erwähnten nahestehenden Parallelen um einen Bildgedanken, der auf kappadokische Vorbilder unter altbabylonischem Einfluß[53], zurückzuführen ist, wo eine Verbindung von Adorant und Opfer vor der Gottheit gemeint ist. Wichtig ist zu beobachten, daß aus anderen spathethitischen Orten außer Malatya und Kargamis bis heute keine einzige Parallele einer solchen Opferzsene bekanntgeworden ist[54]. Die spathethitischen Grabstelen, vor allem aus Maras[55] und Zincirli[56], können Aufgrund der unterschiedlichen Themata nicht als Vergleichsbeispiele in Betracht gezogen werden; auf diesen sind nämlich, wie man schon mit Recht festgestellt hat[57], Totenmahlszenen unter aramäischer Beeinflußung dargestellt. Die Szenen auf den späthethitischen Grabstelen und auf den neuassyrischen Siegelbildern[58] hat aber viele Einzelmotive mit den Bankettszenen auf den urartäischen Votivblechen und Siegeln gemeinsam: die sitzende Person vor einem Tisch mit Speisen und mindestens eine ihr gegenüber stehende Figur. Ähnliches ist auch bei den Reliefbronzen aus den Iran zu beobachten[59].
Aus den angeführten Beispielen geht also deutlich hervor, daß die Stehenden bei den urartäischen Stücken und auf einigen neuassyrischen Siegelmäntel[60] tatsächlich einen sitzenden Gott verehren und dadurch die Szene eine kultische Atmosphäre gewonnen hat. Dieser Eindruck wird auch noch durch ein weiteres Element auf unserem Blech verstärkt: ein Feuergelaß auf dem Boden. Unter den urartäischen Werken tauchen andere Beispiele solcher Gefäße in unterschiedlicher Form auf: diese oft fast sanduhrformigen Gelaße mit Feuer sind zwischen den beiden Figuren auf den Votivblechen[61], vor zwei hintereinander stehenden Figuren auf der Abrollung aus Bastam[62] und bei den Siegelbildem[63] abgebildet. Sie zeigen alle eine kultische Zeremonie in welcher die göttlichen Wesen einen wichtigen Platz einnehmen, und das Gefäß mit Feuer spielte dabei mit großer Wahrscheinlichkeit eine bestimmte Rolle. Vor allem erinnert das Gelaß Aufgrund der herausragenden Strahlen an die schon seit der Akkad- Zeit in Mesopotamien[64] und seit der Zeit der assyrischen Kolonien in Anatolien bekannten Feueraltäre in einer Kultszene[65], die vor dem Gott durchgeführt wird. Anscheinend hat die Tischdarstellung auf unserem Verehrungsblech keine solche Bedeutung. Es dürfte sich hier um einen Opfergabentisch handeln, denn bei den anderen urartäischen Werken stand der Speisetisch bzw. Altar vor einer sitzenden Person[66], die meist durch irgendwelche Attribute als Gott gekennzeichnet war, wie bei den älteren Beispielen[67]. Ähnliches kommt auch auf einigen neuassyrischen Siegeln vor[68], wo die thronende Gestalt als Gott oder manchmal als Göttin zu identifizieren ist.
Wichtig ist festzustellen, daß nach den heutigen archäologischen Belegen der altorientalische Bildtypus der Kultmahlszene in den urartäischen Werken mit großer Wahrscheinlichkeit als anatolisches Erbe fast unverän-dert weitergelebt hat, während diese Szene inhaltlich gesehen auf den späthethitischen Orthostaten und oft bei den neuassyrischen Beispielen zu einer Bankettszene eines Königs oder auch nur zu einer Totenmahlszene, wie bei den Grabstelen aus den späthethitischen Orten, umgebildet wird.
Wir haben eine Reihe von Gründen dafür angeführt, daß es sich bei der thronenden Figur, die in der einen Hand eine Kette, in der anderen erhobenen, eine Schale halt, mit großer Wahrscheinlichkeit um eine Gottheit handelt. Die Szene ist mithin als Kultszene zu deuten. Die vier auf die Gottheit zuschreitenden Personen sind Adorant bzw. bringen Opfergaben dar.
Wie schon erwähnt, ist das Neue an der vorliegenden Darstellung die sich hinter dem Thron emporwindende Schlange. Ohne Zweifel müssen wir darin eines sinnhaltiges Attribut für eine Gottheit erkennen. Wir können als die älteste Parallelen Siegel aus der akkadischen Zeit anfuhren[69], die ein verschlungenes Schlangenpaar hinter dem Thron zeigen, spätere akkadische Beispiele zeigen Götter mit schlangenförmigen Unterleib[70]; dieses Attribut hat man hier als Fruchtbarkeitssymbol gedeutet[71]. Eine ähnliche Komposition wie unsere urartäische kommt auch auf einer koppadokischen Siegelabrollung in Anatolien vor[72]. Die zwischen dieser und der urartäischen Schlangendarstellung liegende Zeitspanne von ca. einem Jahrtausend hat bis jetzt nichts Vergleichbares hervorgebracht. Freilich kennen wir Beispiele aus anderen Kulturen, die mit der urartäischen etwa gleichzeitig sind. Aus Sardis stammt ein Kybele-Relief[73], auf dem die Göttin zwischen zwei Schlangen dargestellt ist. Als ein Attribut der unterirdischen Götter paßt das Schlangensymbol genau zu dem, was wir über die Göttin Kybele wissen, die eine Göttin des Lebens und des Todes war[74]. Auf einer der Tonplatten aus dem Heiligtum auf dem Areopag in Athen findet sich eine der Kybele aus Sardis sehr ähnliche Darstellung, die wiederum zwei Schlangen zeigt[75]. Die Identität der weiblichen Figur ist ungewiß, doch wäre auf Grund der engen Parallele eine Deutung als Kybele- ähnliche Gottheit zu erwägen. Wir wissen auch, daß die Schlange im häuslichen Kult der minoischen Zeit vorkommt, während sich dieser Charakter im Laufe der weiteren Entwicklung in geschichtlicher Zeit verändert[76]; die Schlange hat eine apotropäischen Funktion in Verbindungen mit dem chthonischen Glauben[77].
Dafür lassen sich viele Indizien anführen. Z.B. wird man vor allem die chlangen auf manche Sarkophagen aus Klazomenei und vielleicht die plastischen Schlangenfiguren auf Henkel und Rand von geometrischen und protoattischen Gefäßen[78] hier anführen, welche im jedem Fall aus einem sepulkralen Kontext stammen. Noch engere Parallelen aus Griechenland sind z.B. die Schlangendarstellungen auf den Heroenreliefs spätachaischer Zeit aus Lakonien[79], besonders dasjenige aus Chrysapha (Abb. 2)[80], welches heute im Museum von Berlin aulbewahrt wird. Hier werden Beziehungen zu dem orientalischen Material deutlich sichtbar: Es fallt sofort auf, wie gut die Schlange hinter den thronenden Figuren der Schlangendarstellung auf unserem urartäischen Blech entspricht[81]. Die im Vordergrund sitzende und ihr Gesicht dem Betrachter zuwendende Figur hält in der ausgestreckten Rechten einen Kantharos, ein Gefäß, welches als Trink-bzw. Spendegelaß für Wein Verwendung fand und besonders als Attribut des Gottes Dionysos dargestellt wird[82]. Die weibliche Figur im Hintergrund hält, ebenfalls in der vorgestreckten rechten Hand, einen Granatapfel, während sie mit der linken einen Schleier ergreift. Vor dem thronenden Paar stehen zwei Figuren, die jenen kaum bis an die Knie reichen : sie bringen Opfergaben dar. Die Szene insgesamt zeigt also deutlich Parallelen zu der urartäischen Abbildung, wenn man einmal von den Proportionen der Figuren absieht.
Die Deutungsversuche des thronenden Figurenpaares aus Chrysapha gehen auseinander; so wollen die einen in ihnen heroisierte Tote erkennen[83], die von den noch lebenden Angehörigen verehrt werden, die ande-ren interpretieren das Paar als Götterpaar, z.B. Hades und Persephone[84]. Neuere Forschungen wiederum wollen in der im Vordergrund thronenden Figur Dionysos selbst erkennen[85], der die Unsterblichkeit der heroi-sierten Toten garantiert. Stelen wie die lakonische sind eindeutig Grabstelen. Nun ist andererseits nicht bewiesen, daß es sich bei dem urartäischen Blech um eine Votivgabe handelt, und aus urartäischen Tempelfunden ist auch nichts Entsprechendes bekannt. Öğün möchte darin viel eher eine Grabbeigabe erblicken[86]. Dafür gibt es keinen eindeutigen Beweis. Ohne hier eine Entscheidung zu fällen läßt sich zumindest sicherstellen, was unser Vergleich des urartäischen mit dem griechischen Relief ergibt: daß nämlich die dargestellten Attribute, insbesondere die Schlange als Götterattribut zu deuten ist, es sich bei dem Relief aus Chrysapha mithin ebenfalls um eine Götterdarstellung, nicht um eine Heroendastellung handelt, gleichgültig, welche Gottheiten hier nun gemeint sind.
Unsere Beobachtungen ergeben, daß der archaischen Darstellung aus Lakonien und verwandten Darstellungen eine gemeinsame Idee mit der urartäischen Ikonographie in Grunde liegt. Diese Beziehung tritt nicht allein durch Übereinstimmung des Dargestellten in Form und Inhalt zutage, sie ist auch durch die zeitliche Nähe beider Kulturen wahrscheinlicher als eine unmittelbare Verbindung mit der sehr viel früheren und in ihren Traditionen ferner liegenden minoisch- mykenischen Kultur. Ein Zusammenhang mit dem orientalischen Bereich sollte hier gewichtigen sein.
Ankara 1986