Über das Thema “Industrie-Archäologie" in osmanischer Zeit zu sprechen bedarf einiger einleitender Bemerkungen, um den hier verwendeten Begriff “Industrie-Archäologie” zu klären. Entstanden ist er in den 50er Jahren in England, wo man den Begriff “Archäologie” immer etwas weiter gefaßt hat als auf dem Kontinent. In der Sache geht es -wie bei allen anderen Gattungen des weiten Feldes Archäologie, der orientalischen, klassischen oder Mittelalterarchäologie, so auch hier um die materiellen Relikte einer früheren Zeit, um Erzeugnisse menschlicher Kunst-und Handfertigkeit, um Bauten-mit dem einzigen Unterschied gegenüber den zuvor genannten Zweigen des großen Komplexes Archäologie, daß es sich hier um relativ viel jüngere Gegenstände handelt. Hier geht es um den weiten Bereich aller jener Dinge, die im Gefolge der industriellen Revolution des 18. Jhs. in bis dahin unbekannter Zahl auftauchten und die Alltagswelt zunächst Europas, bald aber auch anderer Länder langsam, aber sicher umgestalteten. Diese Beschäftigung mit relativ neuen und vielfach ziemlich profanen Dingen setzte ein zu einer Zeit, in der sich fast alle bis dahin üblichen Herstellungsverfahren industrieller Produkte in ungeahntem Tempo veränderten, in der nach dem 2. Weltkrieg -weitgehend unter dem Einfluß Amerikas -ein in ganz Europa wirkender Modemisierungsschub alles das zum Alteisen schob, was noch vor wenigen Jahren die Menschheit mit den für ihr Alltagsdasein notwendigen Erzeugnissen versorgt hatte: Maschinen und Fabriken, die noch bis in die 50er oder auch 60er Jahre hinein ganz ordentlich ihren Dienst getan hatten, wurden nun entweder verschrottet oder abgerissen, soweit sie sich nicht auf die nun angewendeten Techniken umstellen ließen. Um wenigstens einen Teil dieser für den Schrottplatz bestimmten Dinge, wenigstens einzelne Relikte einer veralteten technischen Umwelt für künftige Zeiten zu erhalten als Dokumente ihrer Zeit und als Zeugen menschlicher Erfindungsgabe, entstand parallel zu diesem Wandlungsprozeß dies neue Sammel-und Forschungsgebiet “Industriearchäologie”, entstanden zugleich auch in immer größerer Zahl Museen und Sammlungen, in denen man diese Relikte aufbewahrte[1].
Freilich gibt es bis heute noch keine eindeutige Definition, was im einzelnen zu diesem neuen Feld gehört: ob man sich nur auf Produkte und Werktechniken der industriellen Arbeitswelt beschränken solle oder ob auch Erzeugnisse des traditionellen Handwerks miteinbezogen werden könnten - wobei umgehend die Frage auftaucht, wo denn der Unterschied zwischen diesen beiden Bereichen liege? Diese Frage hatte bereits den Juristen des frühen 19. Jhs. einige Mühen bereitet, als sich das zu jener Zeit noch an die alten Zunftregeln gebundene Handwerk gegen die Konkurrenz der neuen Manufakturen und der ersten Fabriken zu wehren be-gann. Eine Antwort auf diese Frage findet sich beispielsweise im 6. Badischen Konstitutionsedikt aus dem Jahre 1808 in der folgenden Formulierung: “...Unter Fabrik wird ein Gewerbebetrieb verstanden, welcher so ins Große geht, daß einzelne Arbeiter nur Teile eines Gewerbes verrichten, deren vom Gewerbsherren geleitete Zusammenstimmung dann das Ganze vollendet...”[2]. Die hier als Kriterium industrieller Produktion angesprochene Arbeitsteiligkeit ist zwar ein eindeutiges Kennzeichen jeglicher Fabrik-Produktion, findet sich aber auch bei nicht wenigen größeren Handwerksbetrieben und das zumal in der Türkei mit ihrer von Mitteleu-ropa doch sehr deutlich unterschiedenen Gewerbestruktur, in der selbst heute eine reinliche Scheidung der beiden Bereiche kaum möglich ist. Angesichts dieser dieser Unklarheiten sollen hier unter dem Begriff “Industrie-Archäologie” sowohl Produkte wie auch deren Produktionsstätten betrachtet werden, bei denen infolge der Mengen des jeweils hergestellten Produktes ein gewisses Maß an arbeitsteiliger Betriebsorganisation erforderlich ist. Darüberhinaus sollten dazugehören alle Gewerbebetriebe, die eine über einfache Werkzeuge hinausgehende technische Installation benötigen -also auch Mühlen, Anlagen zur Öl-und Weingewinnung sowie frühe Schiffbaubetriebe (um nur einige Beispiele anzuführen). Ist damit der inhaltliche Rahmen gegeben, so ergibt sich die in anderen Regionen offene zeitliche Begrenzung hier sozusagen automatisch durch die Dauer des Osmanischen Reiches vom 14. bis zum frühen 20. Jh.- doch sollte nach dieser Abgrenzung noch ein Punkt betont werden: ebenso wie in den traditionellen Archäologien die Arbeit nicht denkbar ist ohne engste Zusammenarbeit mit den den jeweiligen Phasen tätigen Fachhistorikern, mit Epigraphikem, Numismatikern und anderen Vertretern spezieller Disziplinen, so ist auch in diesem Bereich der Industriearchäologie eine fruchtbare Tätigkeit nicht vorstellbar ohne engste Kooperation mit den hier arbeitenden Fachhistorikern, d.h. mit den in den türkischen Archiven Tätigen. Diese allerdings sollten ebenso eng mit den Archäologen Zusammenarbeiten, um die andersartigen Kenntnisse des in technisch-handwerklichen Fragen Erfahrenen in ihre Arbeit mit einbringen zu können. Hier wie in allen anderen Zweigen historischer Forschung geht es nicht ohne Fach- und Nationalitätengrenzen überspringende Zusammenarbeit aller an einem Thema Tätigen! Soviel zu den allgemeinen Fragen und nun zu realen Beispielen, zu den Möglichkeiten und den Aufgaben, die in diesem Bereich vor uns liegen[3].
a) Bergbau (Erze, Mineralien, Kohle):
Die Gewinnung von Erzen der verschiedensten Arten und ihre Aufbereitung haben in Anatolien eine bis weit in die Vorgeschichte zurückreichende Tradition[4]: Seit dem Ende des 4. Jtsds. v. Chr. wußte man Bronze (Kupfer mit 5-10 % Zinnzusatz) herzustellen; seit der Mitte des 2. Jtsds. hat man auch Eisen aufbereitet, wobei vor allem beim Eisen die nördlichen Küstengebiete Anatoliens bis nach Transkaukasien hinein als Lieferanten wie für die technologische Entwicklung eine ganz wesentliche Rolle gespielt haben - hier vor allem mit dem Namen des kleinen Reiches Urartu verknüpft. Seit dem 6. Jh.v.Chr. konnte man das Eisen in niedrigen, mit Blasebälgen ausgestatteten Schachtöfen schmelzen und anschießend im Frisch-Prozeß zu Schmiedeeisen oder Stahl aulbereiten. Neben Kupfer und Eisen spielten aber auch schon früh Blei und Edelmetalle -Gold und Silber- eine wichtige Rolle. Viele der frühgeschichtlichen Vorkommen dieser Metalle sind in den letzten Jahren von Prähistorikem zusammen mit einschlägig interessierten Naturwissenschaftlern untersucht worden, wobei intensive Begehungen und in einigen Fällen auch Ausgraburgen wichtige Ergebnisse nicht nur für die frühen Metalltechnologien erbracht haben, sondern auch für die späteren Phasen von Bedeutung waren[5]. Ist hier in einigen Gebieten vorzügliche Arbeit geleistet worden, so fehlt es doch noch in weiten Bereichen an derartigen Untersuchungen- vor allem in den von jenen Forschern weniger berücksichtigten osmanischen Phasen. Dabei handelt es sich sowohl um die Lokalisierung der in osmanischer Zeit tätigen Gruben und Hüttenwerke[6] wie auch um die jeweils an dem Ort angewendeten, oft recht unterschiedlichen Verhüttungsverfahren. So gab es u.a. im 19. Jh. im Vilayet Konya in Bulgar maden ein bescheidenes Bleibergwerk mit 7 handbetriebenen Schmelzöfen, im Vilâyet Ankara Bleisilber-Minen sowie kleinere Kupfervorkommen bei Akdağ maden und Denek maden, im Vilayet Bitlis eine Reihe älterer Eisenminen und im Vilayet Erzurum größere Eisenwerke, die noch bis 1820 erhebliche Mengen eiserner Kanonenkugeln gossen und dariiberhinaus kleinere Waffenwerkstätten in der Region mit dem notwendigen Eisen versorgten[7]. Ebenso waren noch um die Mitte des 19. Jhs. im Gebiet um Feke (im Antitaurus) kleine Eisenschmelzen im Betrieb, die mit dem dort reichlich vorhandenen Zedernholz heizten, uns heute aber nicht einmal ihrer Lage nach bekannt sind[8]. Nicht viel anders sieht es bei den Kupferbergwerken aus: in Ergani maden (Vilayet Elazığ) wird bis heute eines der reichsten Kupfervorkommen der Welt ausgebeutet, doch wissen wir kaum etwas über die früheren Zustände dort[9]. Im Hinterland von Tokat lieferten die dortigen, teilweise von Ergani maden aus belieferten Kupferwerke noch im ig. Jh. einen großen Teil des für die türkische Flotte benötigten Kupfers, doch auch über diese Werke ist kaum etwas Näheres bekant -ebenso wie über die lange Zeit hindurch ausgebeuteten Vorkommen bei Küre (im Bezirk Kastamonu), wo noch bedeutende Reste der Fabrikanlagen osmanischer Zeit vorhanden sind, obwohl die Produktion schon im 19. Jh. aufgegeben worden ist[10]. In diesen Gebieten, wo die alten Industrien schon im Laufe des 19. Jhs. eingingen, wäre von der Feststellung der einzelnen Abbauplätze, der Art des Abbaus bis hin zu Untersuchungen an den einstigen Verhüttungsplätzen noch alles zu tun - zumal auch die in Reiseberichten überlieferten Nachrichten infolge seinerzeit bestehenden Schwierigkeiten des Reisens nur mager sind.
Etwas besser sieht es in den weniger schwer zugänglichen Gebieten der einst osmanischen Balkanländer aus, wo zum einen die vorzügliche Studie von R.Anhegger die Lokalisierung vieler einst dort vorhandener Werke erlaubt und zum Teil auch deren Arbeitsweisen darstellt[11]; zum anderen gibt es aus dieser Region mehr und ausführlichere Berichte von Reisenden - so u.a. von den Eisenwerken von Samokov[12] - sowohl zu der kleineren Hütte bei Varna im Küstengebiet wie vor allem zu dem größeren, schon im 16. Jh. tätigen Werk im Binnenland, die beide unter dem gleichen Namen bekannt sind. In letzterem wurde das Metall aus stark eisenhaltigen Sänden in bimenförmigen Öfen ausgeschmolzen, die die für den Verhüttungsprozeß nötige Frischluft durch Blasebälge mit Wasserrad-Antrieb erhielten. IDie ausgeschmolzenen Roheisenklumpen von ca. 2 Zentnern Gewicht wurden anschließend auf einem ebenfalls durch Wasserkraft betriebenen Hammerwerk weiterverarbeitet zu Schmiedeeisen, das von einem Besucher noch 1874 in seiner Qualität mit dem damals berühmten englischen Eisen verglichen wurde. Ähnlich knappe Angaben zur technischen Ausstattung liegen beispielsweise auch für die Erzgruben von Balia maden (Hoca Gümüş) vor, die seit 1882 tätig waren und wo bereits um 1910 in den 250 m tiefen Schachtanlagen Elektrobetrieb eingeführt war (obwohl der damalige Sultan erhebliche Bedenken gegenüber dieser neuartigen Technologie hegte...)[13]. Das sind nur einige Fälle aus einer sehr viel größeren Zahl heute bekannter Beispiele, die jedoch ausreichen dürften um zu zeigen, wieviel hier allein nach den bereits heute vorliegenden historisch-statistischen Unterlagen zu gewinnen wäre - ganz abgesehen von der kaum übersehbaren Zahl sonst noch vorhandener Betriebe aus diesem Sektor.
Nur wenig besser sieht es in einem zweiten Bereich der alten Primärindustrien aus: beim Kohlebergbau,[14] der in der osmanischen Türkei allerdings erst im Lauf des 19, Jhs. mit der allmählichen Verbreitung der Dampfmaschine zu einiger Bedeutung kam; vorher hatte man für die Metallverhüttung wie für die häusliche Heizung fast überall die seit altersher übliche Holzkohle verwendet, deren Vorräte aber begrenzt waren und die man in den nun benötigten Mengen auch nicht gewinnen konnte. Für die 1829 entdeckten, aber erst seit der Mitte des 19. Jhs. systematisch erschlossenen und ausgebeuteten Kohlegruben im Gebiet zwischen Karadeniz Ereğlisi und Zonguldak gibt es wohl eine geringe Zahl kurzer historischer Betrachtungen, aus denen man erfahrt, daß es um 1854 eine 50 PS—Dampfmaschine für die Wasserhaltung in den Gruben und für deren Belüftung gab, daß auch eine Eisenbahnverbindung zur Verladestelle am Meeresufer existierte -aber viel mehr ist meines Wissens bisher auch nicht zur Realienkunde dieser für die türkische Wirtschaft so wichtigen Region gesammelt worden, owohl gerade hier die zahlreichen, von ausländischen Fachleuten für das Marineministerium angefertigten Gutachten eine Fülle interessanter Details zur technischen Ausstattung und zum Betrieb der Gruben hergäben. Solche Unterlagen müßten mit ziemlicher Sicherheit in den seinerzeit mit großer Sorgfalt geführten osmanischen Archiven zu finden sein -ebenso wie sonstiges Aktenmaterial über den Zustand der Anlagen und die örtlichen Arbeitsbedingungen.
Mit zunehmender Verbreitung der Dampfmaschine nicht nur für den Schiffsantrieb, sondern vor allem auch im weiten Land für die verschiedensten industriellen Zwecke wuchs der Kohlebcdarf im späteren 19. Jh. beträchtlich, sodaß an vielen Orten kleinere Kohlegruben oder -bergwerke erschlossen wurden- so u.a. Braunkohlegruben im Gebiet um Keşan, bei Soma und in Söke sowie in vielen anderen Orten[15], von denen manche allerdings in jüngerer Zeit wegen mangelnder Ergiebigkeit wieder geschlossen wurden wie zB. die Gruben von Söke. Gerade an solchen Orten aber wäre noch Vieles der schon bei der Schließung veralteten technischen Ausstattung zusammenzubringen, wären interessante Angaben über den Betrieb der Gruben und das Alltagsleben der dort tätigen Arbeiter zu gewinnen, sodaß sich eine baldige Dokumentation schon lohnen würde -zumal diese Daten in wenigen Jahren schon nicht mehr verfügbar sein dürften ! An manchen Stellen wie z.B. in Soma haben freilich der intensive Ausbau der Gruben und ihre Modernisierung fast alle historische Substanz zum Verschwinden gebracht -ine weitverbreitete Erscheinung, die man vom Standpunkt des Historikers aus bedauern mag, die aber im Industriebereich mit seinen Zwängen zu rascher Anpassung und zu höchster Wirtschaftlichkeit ganz sicherlich nicht zu vermeiden ist. Trotzdem wird es auch in derart modernisierten Betrieben und in ihrem Umkreis möglich sein, Daten und vielleicht auch hier und da ältere Maschinen oder Geräte zu finden, die für das Thema Industriearchäologie oder für tcchnikgeschichtliche Fragestellungen von Interesse sind.
Nur kurz erwähnt seien noch alle die vielen kleinen Bergwerksunternehmen aus dem späteren 19. Jh., die damals (oft mit rein spekulativen Absichten) gegründet wurden und der Gewinnung von Chemie-Rohstoffen dienten wie u.a. die Boraxgruben bei Balıkesir[16], die Alaungruben bei Foça oder Şebin Karahisar[17] oder die Salzgruben bei Gülşehir in Kappadokien, wo bei örtlichen Varianten mit im Prinzip ähnlichen Methoden wie den zuvor erwähnten die genannten Mineralien gefördert wurden. In diesem Zusammenhang wären auch die Meerschaumgruben von Eskişehir zu nennen, obwohl deren Produkte für andere Zwecke genützt wurden.
b) Herstellung von Baumaterialien (Ziegelbrennereien, Kalköfen)
Neben den über das ganze Land verstreuten Steinbrüchen, bei denen nicht selten Geräte und Gewinnungsmethoden zu beobachten sind, die denen des Bergbaus ähneln und schon früh eine arbeitsteilige Organisation erforderten[18], gehören in diesen Bereich die zahllosen Kalköfen und Feldbrandziegeleien, deren Arbeitsweisen sich wie die vieler Bergbauunternehmen seit frühgeschichtlichen Zeiten bis in unser Jahrhundert hinein nahezu unverändert erhalten haben, in jüngerer Zeit allerdings angesichts der Konkurrenz moderner Maschinenziegeleien und des im Bauen immer stärker dominierenden Zement deutlich abgenommen haben. Hier ist freilich zu bemerken, daß die Verwendung von Stein und gebrannten Ziegeln wegen der sichtlich höheren Kosten bis zur Mitte des 19. Jhs. weitgehend auf Sakralbauten, Kervansaray-Anlagen und ähnliche Bauwerke sowie auf einzelne reiche Stadthäuser beschränkt blieb; die große Masse der Wohnhäuser wurde weiterhin aus Lehmziegeln, aus Holz oder in Verbundbauweisen von Bruchsteinen, Lehmziegeln und Holz errichtet. Erst die Verbilligung der künstlich gewonnenen Baustoffe im 19. Jh. führte zu einer Zunahme des Massivbauses aus Ziegeln; parallel dazu stieg die Zahl der mit Maschinen und/oder mit Dampfbetrieb arbeitenden Ziegeleien: 1904 waren z.B.in Istanbul und dessen näherer Umgebung 10 mechanische Ziegeleien im Betrieb, die sowohl Voll- wie Lochziegel herstellten; moderne Dachziegel (sog,Falzziegel) wurden dagegen auch zu dieser Zeit noch überwiegend aus Frankreich importiert[19]. Freilich gehören heute auch jene zu Jahrhundertbeginn modernen Anlagen samt ihren Maschinen bereits in den Kreis der hier zu betrachtenden Anlagen mit ihren gelegentlich noch weiterhin betriebenen Ring- und Kammeröfen[20].
c) Mühlen und mühlenähnliche Anlagen:
Ebenso wie bei den Unternehmen aus den oben betrachteten Sektoren finden sich auch bei den in den verschiedenen Sparten der Lebensmittelherstellung tätigen Mühlenanlagen an vielen Orten zahlreiche Beispiele aus vorosmanischer Zeit, bei denen die technisch-hand-werklichen Vorgänge sich auch in neuerer Zeit kaum verändert haben und somit auch die dabei verwendeten Maschinen und Geräte bis in die jüngste Zeit hinein mehr oder minder unverändert weiter in Nutzung standen. Solche Geräte - ob zur Getreideverarbeitung oder zur Olgewinnung eingesetzt[21]- sind schon von den jeweils zuständigen Facharchäologien ausgiebig behandelt worden - ebenso wie die bei diesen Prozessen eingesetzten Pressen, Keltern usw[22]. Während hier also - abgesehen von gewissen regionalen Besonderheiten bis ins 20. Jh. hinein kein wesentlichen Veränderungen zu beobachten sind (vgl.Abb. 1) und Dampfmaschinen erst spät in Gebieten mit besonders intensiver Olivenkultur eingesetzt wurden (wie z.B. in der 2.Hälfte des ig.Jhs. in Midilli und auf Kreta), lassen sich bei den Getreidemühlen im Laufe des 19. Jhs. doch einschneidende Veränderungen beobachten. Anfänglich gab es hier -regional gebunden- zwei grundsätzlich unterschiedene Bauformen: die durch Windkraft und die durch fließendes Wasser angetriebenen Mühlen[23]. Die vor allem im Küstengebiet weitverbreitete, durch ausgespannte Segel angetriebene Windmühle ist innerhalb des letzten halben Jahrhunderts so gut wie ausgestorben (vgl. Abb. 2); es finden sich nur mehr hier und dort auf den Höhen der Küstenregion die runden Steintürme mit Resten des einst vorhandenen Holzwerks -im allgemeinen jedoch nur noch die Ruinen jener Türme. Genauere Untersuchungen dieser Reste könnten - neben der Feststellung lokaler Sonderformen- mindestens noch eine Frage klären: ob es sich um den auf eine konstante Windrichtung eingerichteten Typus mit festem Holzaulbau[24] oder um den mit drehbarem Oberbau handelte[25]. Ersterer war vor allem auf Kreta verbreitet, während an der kleinasiatischen Westküste die zweite Form vorzuherrschen scheint -soweit die geringen Reste das zu beurteilen erlauben. Die Art der Kraftübertragung von den in neuerer Zeit meist aus Leinwand gefertigten, früher gelegentlich aus Schilfmatten bestehenden Segeln und den sie tragenden Holmen auf die senkrechtstehende Achse mit dem Mühlstein ist bei beiden Arten ziemlich ähnlich: hinter dem Segelkranz sitzt auf der (oft leicht ge-neigt liegenden) Hauptachse ein großes Antriebsrad mit Zähnen aus hartem Olivenholz, das über ein ähnlich konstruiertes kleines Kronrad die Vertikalachse mit dem Mühlstein antreibt. Während diese Mühlen sich im wesentlichen im ägäischen Raum finden lassen, gibt es Wassermühlen[26] - heute allerdings oft nur mehr deren Reste - in fast allen Landschaften Anatoliens, in denen Quellen eine einigermaßen regelmäßige Wasserversorgung gewährleisten. Hier übernehmen eine unter dem Mühlstein liegende Turbine bzw. ein horizontal-liegendes Wasserrad den Antrieb des Steines (s. Abb.3), dem durch ein düsenartig nach unten hin sich verjüngendes Fallrohr das Wasser zugeleitet wird. Dieses Fallrohr, das früher im allgemeinen aus Holzbohlen zusammengesetzt wurde, hat man in neuerer Zeit vielfach aus Blechteilen hergestellt; das Wasser wird ihm über ein am Hang entlang zuletzt über ein Holzgerüst oder eine hohe Mauer geführtes Gerinne zugeleitet. Der Typus der Wassermühle mit vertikal-liegender Antriebsachse und darauf montiertem, ober- oder unterschlächtig beaufschlagtem Rad scheint in Anatolien sehr selten zu sein, obwohl es in mittelbyzantinischer Zeit derartige Mühlen beispiel-sweise in Ephesos gegeben hat[27] und obwohl solche Formen auch in orientalischen Handschriften überliefert sind. Ebenso fehlen bisher ausreichende Unterlagen über die auf einigen größeren Flüssen (z.B. im Gebiet von Adana[28]) bis Ende des 19. Jhs. heimischen Schiffsmühlen sowie über den in Europa und auch in Nahost weitverbreiteten Typus der Roßmühle, bei dem Tiere (Pferde, Esel oder Ochsen) für den Antrieb des Hauptrades eingesetzt wurden[29]. Anlagen dieser Art finden sich lediglich als Wasserhebewerke zur Bewässerung von Gärten (Abb.4) oder in den arabischen Ländem-hier unter dem heimischen Namen saqiya zur Versorgung von Siedlungen, Bädern usw[30].
Während die Windkraft zwar für den Antrieb solcher Wasserhebewerke und für Mühlen ausreicht, war sie als Energiequelle für Anlagen mit höherem Leistungsbedarf nicht verwendbar; hier haben im Osmanischen Reich ebenso wie in Europa die Wassermühlen doch eine wichtigere Rolle übernommen - oft auch als Keimzellen neuzeitlicher Industrieanlagen, bei denen dann allerdings meist die nicht durch das ganze Jahr hindurch ausreichende Wasserkraft im Laufe des 19. Jhs. durch Dampf maschinen ergänzt oder ganz abgelöst werden mußte. Diese anfänglich fast durchweg aus England importierten Maschinen wurden seit etwa der Mitte des ig.Jhs. zunehmend häufiger auch bei Getreidemühlen eingesetzt, bei denen zugleich mit dem neuen Antriebsaggregat auch neue Bauformen eingeführt wurden, die sich anhand alter Fotografien für einige Mühlenanlagen in Istanbul rekonstruieren lassen (vgl. Abb.5). Hier waren in den 30er Jahren des ig.Jhs. die ersten Dampfmaschinen in Betrieb genommen worden[31], die man auch bald in mehreren im Gebiet von Unkapan errichteten Mühlen einsetzte. Interessant ist in diesem Zusammenhang eine Notiz in der Biographie eines der in jener Zeit bekann-testen englischen Ingenieure, William Fairbairn (1789-1874), nach der seine Maschinenbauanstalt in London-Millwall nicht nur die Betriebseinrichtungen für eine dieser Mühlen geliefert habe, sondern darüberhinaus sogar das ganze Gebäude, das im Hinblick auf die häufigen Brände in Istanbul ganz aus Gußeisen hergestellt gewesen sei[32]. Es ist erst eine Erfahrung unseres Jahrhunderts, daß unverkleidete Eisenkonstruktionen keineswegs feuerbeständig sind; in einem solchen Eisenkasten wäre nur das Ausbrechen eines Brandes erschwert worden. Wo dieser Eisenbau stand und wie lange er genutzt wurde, hat sich bisher leider nicht feststellen lassen; dazu könnten aber die Archive sicher weitere Aufschlüsse liefern. Interessant ist in diesem Zusammenhang weiter, daß Fairbaim neben der Mühle auch noch eine ebenfalls ganz aus Eisen bestehende Textilfabrik für İzmir liefern sollte, von der bisher auch noch nichts Näheres bekannt ist. Während die zuvor erwähnte Mühle somit noch eine Aufgabe für die weitere Forschung bleibt, ist über die anderen, im Gebiet von Unkapan tätigen Mühlen etwas mehr bekannt; vor allem gibt es ältere Fotografien einer der Militärverwaltung gehörenden Mühle, die in ihrer mehrgeschossigen Form den traditionellen englischen Mühlenbauten[33] ähnelt, die jedoch beim Bau des Atatürk Bulvarı fast völlig abgerissen wurde (vgl. Abb.5).[34]
Mit der Erwähnung der Militärverwaltung tritt eine für die osmanische Industrieentwicklung außerordentlich wichtige Institution hervor, die seit dem 16.Jh. ganz wesentliche Anstöße für die industrielle Entwicklung des Landes gegeben hat und die für ihre Zwecke nicht nur diese Mühle, sondern eine ganze Reihe von Rüstungsbetrieben unterhielt - unter ihnen noch eine zweite Gruppe von Mühlen - die Pulvermühlen (baruthaneler;[35]), die über das ganze Reichsgebiet verteilt lagen - u.a. in Saloniki, Bağdat, Gallipoli, vor allem aber in Istanbul selbst, wo im Laufe mehrerer Jahrhunderte eine ganze Reihe solcher Werke bestand. Anfangs lagen sie in Istanbul selbst oder in der näheren Umgebung der Stadt, mußten jedoch nach einigen schweren Explosionsunglücken immer weiter vom Weichbild der Stadt entfernt neu-gebaut werden: so errichtete man 1698 eine neue Pulvermühle in Bakırköy und unter Selim III. (vor 1794) eine große Pulverfabrik in Azatlı, deren durch eine Wasserturbine angetriebene Mühlenanlage noch vor wenigen Jahren in Resten vorhanden war (vgl. Abb.6). Hier begann im übrigen die Karriere des als ba- rutçubaşı bekannt-gewordenen Arakel Dadian (1753-1812) und seiner Söhne Simon und Ohanes, die später als Industrieuntemehmer eine für die frühe Industrialisierung der Türkei nicht unbedeutende, wenngleich etwas zweifelhafte Rolle gespielt haben[36]. Diese Mühlenanlagen leiten zugleich über zu einem neuen Absatz, den
d) Militärfabriken (Tophane, Tersâne-i Âmire u.a.)
Diese in der Hauptstadt gelegenen Komplexe waren - im Gegensatz zu den bisher behandelten, oft noch eher handwerklich strukturierten Betrieben schon seit ihren ins 15./16.Jh. zurückgehenden Anfängen echte Industrieanlagen mit beachtlichen Produktionskapazitäten, die infolge ihrer Verbindung zu Heer und Flotte zumindest zeitweilig auch technologisch eine Vorreiter-Rolle im Industristrialisieringsprozeß der Türkei gespielt haben. Die Frühgeschichte der vielen verschiedenen Werkstätten zur Herstellung von Waffen, Bekleidung und anderen Ausrüstungsteilen des Heeres hat R. Mantran schon ausführlicher geschildert[37]; bauliche Reste dieser Werkstätten haben sich nicht erhalten und auch bildliche Darstellungen auf alten Stadtansichten Istanbuls sind nicht eindeutig mit der einen oder anderen dieser uns überlieferten Werkstätten in Verbindung zu bringen[38]. Nicht viel anders sieht es mit unseren Kenntnissen über ihr Ausstattung mit Geräten und Werkzeugen aus. Demgegenüber läßt sich für das Tophane in Istanbul, die wohl wichtigste Waffenfabrik des Osmanischen Reiches, schon heute sehr viel mehr sagen, obwohl auch hier noch viele Einzelfragen zur Geschichte des Bauwerks und seinere technischen Einrichtungen unbekannt sind und genauerer Erforschung anhand des reichen Aktenmaterials harren[39].
Nach Evliya Çelebi soll unter Sultan Süleyman anstelle älterer Bauten ein Neubau errichtet worden sein, von dem Besucher im späteren 16. Jh.und im beginnenden 17. Jh. berichten, daß es sich um ein “großes, aber nicht bedeutendes” Gebäude handele. Nach einigen Ansichten und der Beschreibung bei Evliya muß es sich um einen in einem Mauerring stehenden, rechteckigen Steinbau von 40 arşin Länge (—ca. 28 m) gehandelt haben[40], der wohl zu Beginn des 18. Jhs. ausgebrannt ist und bald danach durch den heute noch stehenden Bau mit den 5 großen Kuppeln ersetzt wurde. Die frühesten Abbildungen dieses neuen Großbaues finden sich auf einem Gemälde des holländischen Maiers J.B.Vanmour (1671- 1737) sowie auf einem Stich nach einer Zeichung des Barons Philipp Franz von Gudenus, der im Herbst 1740 als Sekretär eines kaiserlichen Botschafters in Istanbul weilte (vgl. Abb.7[41]). Über die technische Austat- tung der in einem weiten Hof gelegenen Gießerei ist aust Berichten von auswärtigen Reisenden nicht allzuviel zu erfahren, da diese im allgemeinen zu solchen militärischen Anlagen keinen Zutritt hatten. Um die Mitte des 18.Jhs. wurde eine Gewehrfabrik innerhalb des Komplexes errichtet; zum Antrieb der Kanonenbohrwerke dienten von Tieren bewegte Göpelwerke[42]. Nachdem man bereits unter Sultan Abdülhamit I. mit einer Modernisierung des Betriebes begonnen hatte, wurden diese Arbeiten unter Sultan Selim III. fortgesetzt, wobei man nach dem Ankauf zahlreicher benachbarter Grundstücke vor allem die großen Artillerie-Werkstätten ausbaute, die zur Herstellung der Lafetten, der Protzen und des sonstigen Gerätes der in dieser Zeit neu eingeführten Feldartillerie erforderlich waren. Diese Werkstätten wurden nach mehreren Brandzerstörungen (1804, 1823, 1863) jeweils wieder -wohl in leicht verändert Form- hergestellt; 1824 gehörte dazu ein Bohrwerk mit 5 senkrechten, durch Maultiere angetriebenen Bohranlagen und 2 Horizontaibohrmaschinen für kleinere Kanonen, die durch Menschenkraft bewegt wurden. Neuere Maschinen wurden unter Sultan Mahmut II. aus London importiert; 1847 verfügte das Tophane auch über eine eigene Dampfmaschinenanlage von 25 PS und im gleichen Jahr entstand das neue Marangozhane (s. Abb.8). Dies ist ebenso wie die älteren Artilleriewerkstätien und die großen, 1823-1825 unterhalb am Ufer errichteten Kasernen neuzeitlichen städtebaulichen Arbeiten zum Opfer gefallen, die den Umfang und das Aussehen der inzwischen nicht mehr für die alten Zwecke verwendeten Anlage ganz erheblich verändert haben.
Etwa Ähnliches gilt auch für die zweite große Industrieanlage in Istanbul, das Tersâne-i Âmire am Goldenen Horn[43]. Ursprünglich hatte man für die im 15. Jh. ja noch recht unbedeutende Kriegsflotte neben dem Hafen von Gelibolu in Istanbul nur den alten Kriegshafen der Byzantiner zur Verfügung, der im Gebiet der heutigen Kadırga mahallesi lag, jedoch im 16.Jh. keinesfalls mehr ausreichte. 1513 begann mit der Entscheidung Sultan Selims I. für den Bau einer größeren Flotte der Neubau des Arsenals im Gebiet westlich von Pera an der damals noch sehr viel weiteren Bucht unterhalb von Kasım Paşa, wo es schon seit dem 14-Jh. einige kleinere, wohl von den in Pera ansässigen Genuesen betriebene Schiffbauwerkstätten gab. Hier wurden im Laufe des Jahres 1513/14 über 100 Schiffshäuser gebaut, von den das Unternehmen scharf beobachtenden Venezianern “völti” genannt, in Wirklichkeit aber doch wohl eher leichte Bauten mit Steinmauern und Holzdächern, die zur Aufnahme von je 1-2 Galeeren geeignet waren. Obwohl 1539 ein Brand große Teile des Arsenals zerstörte, stieg die Zahl der “völti” bis Ende des 16.Jhs. auf etwa 130-140 Einheiten an, von denen einige allerdings auch als Lagerhäuser für Holz und anderes Material genutzt wurden; später hat man in einigen dieser Häuser auch Galeeren aufbewahrt, deren Besatzungen sich im Kampf besonders ausgezeichnet hatten. Neben und zwischen den Schiffshäusern standen noch weitere Gebäude - darunter auch das schon früh errichtete Divanhane, der Amtssitz des Kapudan Paşa, dazu Depots für die Ruder und die Ausrüstung jeder Galeere. Am Rande des 1547 durch eine hohe Mauer umschlossenen Gebietes lag - nochmals besonders ummauert- das berüchtigte Bagno, das Gefängnis der auf den Galeeren eingesetzten Kriegsgefangenen und der zum Ruderdienst verurteilten Sträflinge; im Gebiet hinter-oberhalb der Werft wohnten die im Tersane tätigen Arbeiter und hier lagen auch kleinere Zulieferbetriebe des Arsenals. Dieser Zustand des späten 16. Jhs. blieb trotz mehrfacher Brände ohne wesentliche Veränderungen bis weit ins 17. Jh. hinein erhalten, während der Betrieb innerhalb der Werft in dieser Zeit offenbar recht schlampig gewesen sein muß-glaubt man den Berichten der zeitgenössischen Reisenden und der venezianischen Baili.
Einschneidende Veränderungen der Werftanlagen brachte seit etwa der Mitte des ly.Jhs. der bei den übrigen Mittelmeer-Anrainerstaaten schon früher feststellbare Übergang zu dem neuen Schiffstyp der Galeone (kalyon) mit sich, für den die alten Schiffshäuser viel zu klein waren. Für den Bau dieser neuen, erheblich längeren und höheren Schiffe mußten nun auch entsprechende Bauplätze angelegt werden: lange zum Haliç hin abfallende schräge Rampen mit hölzernen Bodenkonstruktionen, die man zunächst am Platz der alten “völti” baute; von diesen Schiffshäusem blieb nur eine kleine Zahl für die Unterbringung der noch Dienst tuenden Wachgaleeren übrig. Trotz mancher Bemühungen um eine Modernisierung der Flotte hielt auch in dieser Phase die Kritik der Besucher des Ar-senals noch weiter an; erst nach der Vernichtung der ganzen Flotte durch ein russisches Geschwader bei Çeşme 1770 begann unter dem neuen Kapudan pascha Gäzi Hasan Paşa gegen Ende des 18. Jhs. eine Phase intensiven Ausbaues von Flotte und Werft, bei der schwedische und französische Schiffbauingenieure mitwirkten und für die Einführung neuer und besserer Schiffstypen Sorge trugen. In dieser Zeit wurde auch die technische Ausstattung des Tersane durchgehend modernisiert: um 1773 wurde in Nähe der zu Beginn des 18.Jhs. von Großvezir Çorlulu Ali Paşa gestifteten Kışla Camii ein hoher Mastkran errichtet (vgl. Abb.9); dazu baute man neben mehreren Lager-ünd Kalfaterhäusem auch eine große Kaserne für die Flottensoldaten (kalyoncular kışlası) sowie eine Schule und mehrere Magazine. Technisch interessantester Neubau im Arsenalbereich war 1793 das erste Trockendock, das der schwedische Ingenieür Rhode nach dem Vorbild des wenige Jahre früher in Toulon angelegten Docks baute; ihm folgten 1822-1826 ein zweites und nach einer langen Vorbereitungsphase 1869-1870 ein drittes, von einheimischen Meistem angelegtes Trockendock von etwa gleicher Größe. Noch bedeutender für die Geschichte des Tersane war jedoch die in den Anfangsjahren des 19.Jhs. erfolgende Erweiterung des Geländes der Werft in das Gebiet des inzwischen aufgegebenen Aynahkavak Sarayı hinein, wo man in der Folgezeit eine ganze Reihe neuzeitlicher Maschinenwerkstätten und Einrichtungen für den Bau von Eisenschiffen errichtete: 1843 wurde eine erste Dampfmaschine installiert, die ein ebenfalls neugebautes Walzwerk für Kupferplatten antrieb und 1835 folgten ein neues Demirhane sowie eine ebenfalls durch eine Dampfmaschine betriebene Sägemühle. Bis zum Ende 19. Jhs. errichtete man noch eine Reihe weiterer Maschinenwerkstätten, sodaß sich das Erscheinungsbild des Tersane seitdem gründlich verändert hat: statt des Mastenwaldes und der Segel der alten Fregatten und Korvetten bestimmten nun die qualmenden Schornsteine der modernen Werkstätten das Bild des Komplexes. Auch hier dürften -ähnlich wie bei den bisher betrachteten Anlagen- Studien in den Archiven noch wesentliche Ergänzungen unserer bisherigen Kenntnisse bringen und ebenso Nachforschungen in den Lagerhallen der Werft selbst vielleicht noch das eine oder andere Stück aus früheren Zeiten. Neben diesem hauptstädtischen, im Vergleich zu den anderen Schiffbaubetrieben der osmanischen Flotte sicher weitaus bedeutendsten Werft komplex existierten in Istanbul noch einige kleinere Betriebe sowie darüberhinaus Werften in Sinop, Izmid und Rhodos; daneben gab es mehrere kleinere Anlagen für den Bau von Flußschiffen an der Donau und am Euphrat, über die bisher jedoch außer einigen historischen Daten so gut wie nichts bekannt ist[44]. Auch hier würden weitere Studien am Ort und im Archiv Wichtiges für die Geschichte des Schiffbaus in osmanischer Zeit liefern, wenn auch archäologisch relevante Ergebnisse hier in größerem Umfang nicht zu erwarten sind.
Neben diesen beiden Großetriebcn waren in Istanbul im Zusammenhang mit den schon mehrfach erwähnten Armee-Reformen seit 1773 eine weitere Geschützgießerei in Hasköy[45] und etwas spater Gewehrfabriken im Levent Çiftlik und bei Dolmabahçe[46] entstanden, für die jedoch außer einigen allgemeinen Daten, einer wenig ergiebigen Ansicht und Angaben auf einigen Plänen keine Unterlagen vorhanden sind -auch dies ein Desiderat des Archäologen und Topographen an den Historiker. Schließlich existierten Betriebe unterschiedlichster Grösse und An in den Grenzprovinzen, die für die Versorgung der dort stationierten und der temporär eingesetzten Truppen zuständig waren wie u.a. die schon oben genannte Eisengießerei in Erzurum.
Neben diesen nur für bestimmte Rüstungsaufgaben tätigen Betrieben gab es noch eine Reihe anderer Werkstätten, die teilweise oder ganz militärische Aufgaben zu erfüllen hatten; zu ihnen gehörte das 1826/27 in einem früheren sultanischen Palais bei Eyüp eingerichtete Iplikhane (auch Riştehâne-i Âmire genannt), eine Fabrik mit 15 durch Maultiergöpel angetriebenen Spinnmaschinen, in der unter andrem Seile für das Arsenal hergestellt wurden. Hier arbeiteten nach ziemlich straffem Regelment neben Soldaten vor allem Diebe und andere kleine Übeltäter, die von der Polizei hier eingewiesen wurden[47] . Während diese einst ziemlich ausgedehnte, bis Ende 19.Jhs. noch vorhandene Anlage in den Anfangsjahren unseres Jahrhunderts abgerissen wurde, sind von dem nur wenig später gegründeten Feshane wenigstens noch die Außenmauem erhalten geblieben[48]. Dessen Anglagc geht auf die von Sultan Mahmut II. erlassene neue Kleiderordnung zurück, bei der der aus Nordafrika stammende Fes zunächst für das Militär, später aber auch für alle männlichen Türken als Kopfbedeckung eingeführt worden war. Da Importe für den Bedarf nicht ausreichten, nahm man seit 1828 eine eigene Fes-Produktion in einem Bau in der Kadirga-Mahalle auf, die man im April 1833 in ein früher der Hatice Sultan gehöriges Yalı in Eyüp verlagerte. Dieser Betrieb wurde im Laufe des 19. Jhs. zu einer kompletten Tuchfabrik ausgebaut, erhielt nach einem Brand 1866 neue Gebäude und zwischen 1883-1885 die heute noch in Resten vorhandenen Shedhallen, Tür die angesichts der günstigen Lage und der guten Bausubstanz nach dem Auslaufen der Produktion 1987 eine Nutzung als Technik-Museum sehr wohl vorstellbar wäre (vgl. Abb. 11,12).
e) Private Unternehmen in verschiedenen Sektoren:
Von den anderen in und um Istanbul bestehenden Textilfabriken, von den frühen, wohl eher manufakturartigen Betrieben in Üsküdar aus dem späten 18.Jh. sowie dem um die Mitte des 19.Jhs. in Bakırköy errichteten Cuhahane, sind heute keine Spuren mehr vorhanden, doch müßten sich für diese Betriebe Unterlagen in den Archiven finden lassen, aus denen sich auch Rückschlüsse auf deren technische Ausstattung ziehen ließen. Wenig auch hat sich von den verhältnismäßig zahlreichen Textil-Untemehmen im westlichen Anatolien erhalten, die im Laufe des 19.Jhs. gegründet worden waren wie u.a. die Baumwollspinnerei in İzmir, die Baumwollspinnerei in İzmir, die Werke in Karamürsel, İzmit und die bekannte Manufaktur in Hereke - letztere immerhin noch am Ort in einigen der älteren Bauten tätig[49]. Noch weniger weiß man über die an der Südküste im Gebiet von Adana liegenden Fabriken, deren Zahl nach den Konsularberichten nicht gering gewesen sein kann, von denen vielleicht auch die eine oder andere noch in Teilen aus damaliger Zeit stammt ?
Recht kümmerlich sind auch die Daten für die als Zuliefer-und Re-paraturbetriebe dieser frühen Textilwerke tätigen kleineren und größeren Maschinenfabriken, die um die Mitte des 19.Jhs. entstanden sind[50]. Zu nennen sind hier eine nur wenige Jahre (1844-1850) tätige Eisengießerei in Beşiktaş, die 1845 in Zeytinburnu gegründete, damals sog. “grande fabrique”, die nach einigen Jahren in eine reine Waffen- und Munitionsfabrik umgewandelt wurde und als solche bis wohl zum 1. Weltkrieg tätig war (s. Abb. 13;[51]); hierher gehört auch eine kleinere Maschinenfabrik im Gebiet des heutigen Bahnhofs Sirkeci, die sog. Yalı Köşk Makina fabrikası, die bei der Erweiterung des Bahnhofs abgerissen worden ist[52].
Diese für frühindustrieile Phasen typische Kurzlebigkeit einzelner Neugründungen ist in ähnlicher Form auch in Mitteleuropa zu beobachten, da zu dieser Zeit mangelnde Erfahrung im Management ebenso wie noch nicht ausreichende Kenntnisse im technischen Bereich vielen hoffnungsvoll begonnenen Unternehmungen schon nach wenigen Jahren das “Aus” brachten. Freilich hat in diesen Ländern nicht selten verständnisvolle Hilfe seitens der Landesherren oder der staatlichen Verwaltungen weitergeholfen, während im osmanischen Bereich manches positiv, wenngleich mit durchaus privat-kapitalistischen Interessen begonnene Unternehmen bald wieder ganz einging oder -folgt man den freilich nicht immer sachlichen zeitgenössischen Kritiken[53] -mehr oder minder mühsam noch Jahre hindurch dahinvegetierte. Trotz eines mehrfach betonten, letztlich aber doch nur oberflächlichen Interesses des Sultans Abdülmecit fanden die neuen Unternehmen nicht die langfristige Unterstützung einer systematischen staatlichen Wirtschaftspolitik: es fehlten in der osmanischen Führungsschicht sowohl das uneigennützige Sachinteresse wie auch das notwendige Verständnis für wirtschaftliche Zusammenhänge; nicht minder unvorbereitet standen weite Kreise des noch an eher mittelalterliche Wirtschaftsformen gewohnten Volkes diesen neuen Aufgaben gegenüber. Dazu fehlte nahezu alles, was man heute als “Infrastruktur” bezeichnen würde: beginnend mit Ausbildungsbetrieben, die den Anforderungen neuzeitlicher Technik hätten genügen können bis hin zu den für die Versorgung und den Warentransport dringend notwendigen Verkehrsmitteln - Faktoren, die wie etwa die Eisenbahnen in Europa ganz entscheidend zum raschen Fortgang des Industrialisierungsprozesses beigetragen hatten. Freilich ist ebenso zu berücksichtigen das Einwirken einiger europäischer Mächte, die den für ihre eigene Industrie wichtigen türkischen Absatzmarkt zu verlieren fürchteten und diesen daher durch entsprechende Verträge (z.B.den Vertrag von Baltalimam 1838 usw.) offenzuhalten suchten[54].
Wenn bei der Behandlung früher industrieller Aktivitäten İstanbul so stark in den Vordergrund gestellt wurde, so einmal, weil dem Verfasser für diesen Raum die Quellen am ehesten zugänglich waren, zum anderen aber auch deswegen, weil hier infolge der zentralistischen Reichsorganisation Kapitalien und Initiativen am ehesten wirken konnten. Natürlich gab es auch in den Provinzen ähnliche Bemühungen um Förderung der wirtschaftlichen Kräfte: für Bulgarien hat das N.Todorov schon früher ausführlicher dargestellt[55] - freilich mit stärkerer Betonung der sozialgeschichtlichen Aspekte bei den von ihm behandelten Textilfabriken in Sliv- en und bei Plovdiv, die -wie ältere Darstellungen zeigen- den entsprechenden Fabriken in Mitteleuropa nicht unähnlich waren und Geräte- und Maschinenausstattung auch aus Europa erhalten hatten. Für die bis Anfang des 2O.Jhs. zum osmanischen Reichsgebiet gehörenden Gebiete Nord-Griechenlands können Reiseberichte des 19.Jhs. sowie einige neuere Studien griechischer Forscher relativ viel Daten und Fakten zu technischen Details liefern[56]. Für Ägypten würden die Berichte des Freiherm von Prokesch-Osten sowie neuere Arbeiten[57] ebenfalls höchst interessantes Material bringen, zumal Ägypten unter der Herrschaft Mehmet Ali’s intensive Bemühungen machte, in einzelnen Bereichen eine nach damals modernen europäischen Vorbildern ausgerichtete eigene Produktion aufzubauen.
Wäre somit aus den Randprovinzen des Osmanischen Reiches schon jetzt viel wichtiges Material zum Fragenkreis “Industriegeschichte” und vermutlich auch bei eingehenderen örtlichen Studien auch zur Industrie- Archäologie zu gewinnen, sieht es demgegenüber iür das einstige Kernland des Reiches, für Inneranatolien, recht mager aus, falls nicht neue Funde in den reichen Archiven und intensivere Bemühungen bei der Feldforschung hier weiterhelfen. In den statistischen Werken der 2. Hälfte des ig.Jhs. - vor allem bei Vital Cuinet[58] sowie einigen konsularischen Handelsberichten - finden sich zwar allerlei Hinweise auf kleinere und größere Fabriken, doch fehlt es noch gänzlich an regionalen Untersuchungen, was von den in den genannten Arbeiten erwähnten Betrieben überhaupt noch faßbar ist ! Gelegentlich zeigen solche Feldforschungen, daß heute noch vorhandene Gewerbebetriebe in jenen Quellen überhaupt nicht auftauchen: so finden sich z.B. in Bergama am dortigen Bergama Çay zwei alte Fabrikgebäude aus etwa der 2. Hälfte des 19.Jhs., von denen ältere Einwohner nur zu sagen wußten, daß sie einst Griechengehörten und Wasserräder gehabt hätten - also vermutlich Mühlen waren?
Der einzige Sektor, in dem sich auch im Hinblick auf die hier eingesetzten Maschinen und Geräte etwas mehr Zusammentragen ließ, war die Seidenindustrie in Bursa und seiner Region[59], die nach einer Phase des Niedergangs dank entsprechender Modetendenzen in den Jahren um 1840/50 wieder etwas Aufwind bekam: 1845 wurde in Bursa die erste mit Dampfbetrieb arbeitende Seidenspinnerei in Betrieb genommen und rasch mehrte sich die Zahl modem ausgestatterer Firmen. In den 70er Jahren gab es auch in der weiteren Umgebung von Bursa bis hin nach Bilecik mit Dampfbetrieb arbeitende Seidenwerkstätten, die (die überwiegend exportierte) Rohseide herstellten. In Bursa finden sich noch heute einige der Seidenverarbeitung dienende ältere Anlagen (vgl. Abb. 15) mit teilweise höchst interessanten Maschinen aus dem vorigen Jahrhundert -darunter gewiß manches Stück, das jeden Kurator eines technischen Museums in Mitteleuropa in Entzücken versetzen würde...
Aus diesen wie auch vielen anderen Sektoren früher industrieller Tätigkeit wären noch manche andere Beispiele anzuführen, doch nötigt der hier mögliche Umfang zu einer festen Begrenzung, sodaß einige Bereiche wie etwa die Papierfabrikation[60], die Glasfabrikation in Beykoz und Paşabahçe, die Gerbereien[61], die städtischen Versorgungsbetriebe wie Gas und Kraftwerke (vgl.Abb. 14) oder auch die technisch höchst interessante Istanbuler Tünel-Bahn[62] hier zu kurz kommen. Für diese Bereiche gilt aber dasselbe wie für die zuvor etwas ausführlicher behandelten Fabrikanlagen: will man hier noch etwas an alten Ausstattungsteilen, Maschinen, Werkzeugen und Geräten retten für kommende Generationen, so wird es höchste Zeit, denn was man heute vielleicht noch finden kann, wird angesichts des rapiden Veränderungsprozesses, den die Türkei derzeit durchmacht, in 5-10 Jahren verschwunden sein - auf Schrott - und Müllhalden. Doch - da stellt sich sogleich die Frage: will man das denn überhaupt ? Welchen Nutzen bringt es, monatelang durchs Land zu streifen, alte Fa-brikschuppen zu vermessen, ausrangiertes Gerät zu sammeln und alte Maschinen von Schrottplätzen zu bergen? Diese Frage werden Wirtschaftshistoriker stellen, denen es wichtiger ist, die Geschichte wirtschaftlicher Beziehungen oder von Produktionsziffem zu klären; diese Frage werden auch viele Andere stellen, denen solches Tun nicht einleuchtet. Jedoch: hält man heute viele Handwerkserzeugnisse früherer Jahrhunderte für museumswürdig wie etwa Fliesen aus Kütahya oder Teller aus İznik, so werden in vielleicht gar nicht so ferner Zukunft auch Produkte unserer Zeit den dann Lebenden ebenso museumswürdig erscheinen, werden sie fragen, wie man denn um die Mitte des 20. Jhs, in den damaligen Werkstätten gearbeitet hat, wie der Alltag der zahllosen Fabrikarbeiter ablief und an welchen Maschinen sie tätig waren ! Daß ein Interesse an solchen Fragen vorhanden ist, beweisen die zahlreichen Ausstellungen der letzten Jahre in vielen Ländern Mitteleuropas, beweisen die vielen Titel von Büchem zu Themen aus der Frühzeit der Industrie dort. Zu betonen ist hier nur nocheinmal ein Punkt: will man wirklich die nicht allzu reichlichen Zeugnisse einer eigenen wirtschaftsgeschichtlichen Tradition bewahren, so sollte man mit dem Sammeln und dem Forschen bald an-fangen !