Die 1963 in Dirmil (Karien) gefundenen geometrischen Vasen nehmen innerhalb der westanatolischen Töpfereikunst durch Form und Verzierung eine Sonderstellung ein. Aus dem gleichen Gebiet stammen die schon veröffentlichten Funde geometrischen Stils von Turgut- Lagina und Beçin (s. S. 9, 14, 16). Verglichen mit den Dirmil-Gefäßen sind sie jedoch als zweitrangige Arbeiten zu betrachten, und zwar sowohl in der Verarbeitung als auch in Form und Schmuck. Die im Vergleich mit Turgut-Beçin-Ware erstklassigen Dirmil-Vasen ver-dienen auch aus anderem Grunde Beachtung.
Während die karischen Städte im Binnenland der Halbinsel von Halikarnassos, wie Turgut und Beçin, durch ihre Lage nur wenig von anderen geometrischen Töpferei-Zentren beeinflußt werden konnten, ist dieser Einfluß auf die Küstenstädte als wesentlich umfangreicher vorauszusetzen. Dirmil, an der ägäischen Küste gelegen, hat von protogeometrischer Zeit an über die Seewegen zum Dodekanes, den Kykladen und dem griechischen Festland enge Verbindungen gehabt. Gute Beweise dafür sind die proto-geometrischen Gefäße aus der Grabkammer von Dirmil[192]. Beziehungen karischer Küstenstädte zu den benachbarten Inseln lassen sich sogar bis in submykenische und mykenische Zeit zurückverfolgen. Bestätigt wird das unter anderem durch die mykenischen Funde der Grabungen von Müskebi (Ortakent) während der letzten Jahre[193].
Der besondere Charekter in Form und Verzierung der Vasen aus Dirmil läßt eine Datierung dieser Gruppe von Arbeiten in die Zeitspanne vom Ende des reif-geometrischen bis etwa zur Mitte des spätgeometrischen Stils als angemessen erscheinen. Zur Bestätigung sollen die Gefäße kurz im einzelnen betrachtet werden[194]:
Die Halshcnkelamphora (Kat. 1, Inv.-Nr. 596, Taf I-IV). zeigt in ihrer äußeren Form Ähnlichkeiten mit attischen Vorbildern reif geometrischen Stils, sowie auch mit der von J.N. Coldstream in die reifgeometrischen Phase datierten Amphora aus Assalik[195]. Wichtig für die zeitliche Einordnung der Dirmil - Amphora sind weiterhin neue Ornamente in der Bemalung. Wie bereits vorher gesagt (s. S. 5, Anm. 10), gibt es unter den attischen Vasen des reifen Stils-mit wenigen Ausnahmen-keine Bemalung an der Schultcrpartic (s. S. 5, Anm. 10). Die Dirmil-Amphora ist jedoch an der Schulter bemalt und diese Beobachtung zeigt uns den Einfluß der ägäischen Inselwelt. Das Schmuck-Element in Form eines innen nochmals käfigartig gekämmten Rautennctz wurde zuerst von den Töpfern des Dodekanes verwendet[196]. Mit Beginn der reifgeometrischen Phase sicht man am Hals der geschlossenen Gefäße des Dodekanes keine Bemalung mehr. Die von J. N. Coldstream[197] in die Zeit des reifen Stils datierten Oinochoeen V1 und V2 aus Exochi zeigen mit ihren Verzierungen der Hals-und Schulterparticn weiter entwickelte Charakteristika. Bei Vergleich der Halsenkel-Amphora aus Dirmil mit den beiden Oinochoeen aus Exochi wird die Ähnlichkeit mit diesen Besonderheiten offensichtlich. Als Ergebnis der vorhergehenden Erwägungen ist es möglich, die Halshenkel-Amphora aus Dirmil in die letzte Phase des reifgeometrischen Stils einzuordnen.
Die Schulterhenkel-Amphora (Kat. 2, Inv.-Nr. 1963/15, Taf. V-VII) aus Dirmil weist ähnliche Stil-Elemente auf wie die vorher beschriebene Halshenkel - Amphora und kommt ihr deswegen auch in der Datierung nahe. Der Schmuck an Hals - und Schulterpartie dieser Amphora ist in der Art der Anbringung gleich mit der Verzierung der Halshenkel - Amphora. Eine Amphora aus Kerameikos, Nr. 284, die in K. Kübler in die 2. Hälfte des 8. Jh. datiert, ist am Hals mit einem plastichen Ring versehen[198]. Seine Form ähnelt der des gleichfalls am Hals angebrachten plastischen Ringes der Shulterhenkel-Amphora von Dirm’l (s. S. 11). J. N. Coldstream erwähnt in seiner Beschreibung der reifgeometrischen Vasen des Dodekanes plastische Schnüre (oder Schnürknoten) an der Halspartie von Lekythoi (s. S. 11). Wenn auch entfernt, so können uns diese plastichen Verschnürungen doch einen Hinweis für die Datierung der Dirmil-Bauchamphora geben. Das Rautennetz-Muster-eine Reihe von liegenden Rauten, innen käfigartig gekämmt-, das die Schulter- Metope der Amphora schmückt, haben wir bereist bei einer aus lasos stammenden und in die reifgeometrische zeit datierten Tasse gesehen (s. S. 13). Aus Kamiros kommt eine einhenklige Tasse, auch mit der Rautenkette verziert, die von J. N. Coldstream als reifgeometrisch cingeordnet wird. (s. S. 13). Die auf der Schulter der Amphora von Dirmil als einziges Schmuck-Element angebrachte Rautenkettc ist unserer Meinung nach als fortgeschrittenes Charaktetistikum anzusehen. Wie schon vorher gesagt, kommt die für die Dirmil-Halshenkcl- Amphora angenommene Datierung auch hier infrage, da die Hals- Schulterpartien im selben Stil geschmückt sind. Mit anderen Worten: Die Schulterhcnkel - Amphora von Dirmil kann dem Ende reifgeo- mctrischer Zeit zugerechnet werden.
Auch die gedrungene Oinochoe mit breitem Fuß und engem Hals (Kat. 3, Inv.-Nr. 597, Taf. VHI-X) ist, wie die von den geschlossenen Gefäßen bereits beschriebenen Amphoren aus Dirmil, die Arbeit einer Spätphase. Aus der Beschreibung dieser Oinochoe (s. S. 14) ergab sich, das solche Gefäße mit breitem Fuß erstmals in reifgeometrischer Zeit von den attischen Töpfereien angefertigt wurden. Wenn auch die Dirmil-Oinochoe auf den ersten Blick den Vorbildern aus Attika und Dodekanes ähnelt (s. S. 14, 15) so unterscheidet sie sich doch von ihnen durch einige weiter entwickelte Einzelheiten. Der Stil der Bemalung der Shultcrpartie, nämlich in einer einzelnen Metope ein einzelnes Motiv, ist durchgehend für die Dauer der reifgeometrischen Phase als Schulter-Ornament der geschlossenen Gefäße zu sehen, ausgenommen die früh-und reifgeometrischen Lekythoi des Dodekanes. In der Reihe der von J. N. Coldstream beschriebenen spätgeometrischen Gefäße des Dodekanes wird unter anderem die Oinochoe Nr. 528 aus Kos gezeigt (s. S. 15) und, wie vorher in Anmerkung 61 bemerkt, besteht zwischen dieser und der Oinochoe aus Dirmil eine Beziehung sowohl hinsichtlich des Stils der Bemalung als damit auch der Datierung. Der Schulter-Schmuck der beiden Dirmil-Amphorcn besteht auch aus einem Motiv innerhalb einer einzelnen Metope. Die Oinochoe jedoch zeigt an dieser Partie drei untereinander gesetzte Friese und andersartige Ornamente (s. S. 18-20). Erkennt man die Aufteilung der Schulterpartie in drei Friese als Stil-Weiterentwicklung an, wird zwangsläufig der Zusammenhang zwischen der Dirmil-Oinochoe und der Oinochoe Nr. 528 aus Kos sichtbar. Wir halten es daher für annehmbar, die Oinochoe aus Dirmil in die Zeit Anfang des spätgeometrischen Stils zu setzen (ca. 730 v. Ohr.).
Die kleine konische Oinochoe (Kat. 4, Inv.-Nr. 608, Taf. XI) ist zwi sehen den Dirmil-Fundcn das zweite Stück aus spätgeometrischer Zeit. Von der äußeren Form her läßt sich keine Beziehung zwischen dieser Oinochoe und denen vom Dodekanes und aus Westanatolien herstellen (s. S. 21). Dagegen wurde auf eine enge Verbindung zu den aus Korinth stammenden Beispielen hingewiesen (s. S. 21,22). Weiterhin wurde ein enger Zusammenhang mit der Oinochoe von Neapel gezeigt (s. S. 22), die von J.N. Coldstream dem spätgeometrischen Stil von Euboea zugeschrieben wird, von Euboea in die italienischen Kolonien exportiert worden und ihre Form von den ersten korinthischen Gefäßen entlehnt haben soll. Ähnlichkeiten im Stil der Bemalung zwischen der Oinochoe und den Gefäßen von Beçin und Bozuk bağ aus der fortgeschrittenen spätgeometrischen Periode sind ebenfalls beschrieben worden (s. S. 23, Anm. 87, 88) Es scheint angemessen, die kleine konische Oinochoe aus Dirmil in die letzte Spanne der spätgeometrischen Zeit zu datieren.
Ein Krater, in Bruchstücken gefunden (Kat. 5, Inv.-Nr. 1963/16, Taf. XII-XV) ist eine Kopie der ersten attischen Vorbilder; er gehört der ostgriechischen Sphäre und einer fortgeschrittenen Phase der reifgeometrischen Zeit an, wie worher schon gesagt (s. S. 24). Die für diesen Krater gewählten Verzierungen sind außerordentlich wichtig für seine Altersbestimmung, und das wichtgste Verzierungs-Element ist ein enger Fries mit einer Reihe von grasenden Hirschen auf der Bauchpartie des Kraters. Der Kerameikos-Krater Nr. 1255, dem Ende des reifgeometrischen Stils zugehörig, ist mit einem Hirsch-Motiv ge-schmückt (s. S. 33, Anm. 138), das jedoch in der Art der Ausführung und mit den innerhalb der kleinen Metopen eingefügten Ornamenten ältere Eigenheiten als der Krater aus Dirmii zeigt. Von J. Davison in spätgeometrische Zeit datierte Vasen mit Tier-und Menschen- Figuren (s. S. 33, 34) sind mit ihren Hirschmotiven den Dirmil-Krater- fragmenten zeitlich näher. Nach diesen Erwägungen dürfte dieser Krater der Zeit des spätgeometrischen Stils zugeschrieben werden, d.h. genauer gesagt, zusammen mit Berücksichtigung der Stil-Eigenheiten der anderen Schmuck-Elemente könnte das Herstellungsdatum um das Jahr 725 v. Chr. liegen.
In die Reihe der Funde von Dirmil, deren Zeitbestimmung feststeht, ist ohne Zweifel das Gefäß in Skyphos-Form (Kat. 6, Inv.- Nr. 600, Taf. XVI) einzuordnen. Form und Verzierung dieses Skyphos zeigen starke Ähnlichkeit zu dem spätgeometrischen Skyphos aus lalysos (s. S. 35, 36), Wenn man sich die Verwandtschaft mit den vorher erwähnten (s. S. 35, Anm. 146, 147, 148) spätgeometrischen Gefäßen in Form der Vogelschale vor Augen hält, ist cs möglich, den Skyphos aus Dirmil in die Zeit um 700 v. Chr. cinzuordnen.
Daß der Skyphos mit flachem Fuß aus Dirmil (Kat. 7, Inv.- Nr. 598, Taf.XVII) in Form und Verzierung Ähnlichkeit mit den attischen und kykladischen Skyphoi zeigt, wurde bereits gesagt (s. S. 37). Ein wichtiges Element für die zeitliche Einordnung des flachfüßigen Skyphos ist das Ornament des unterbrochenen Meanders. Wir wissen bereits (s. S. 38), daß in reifgeometrischer Zeit der Meander als Schmuck-Element seinen Höhepunkt erreicht hat und in spätgeometrischer Zeit unter brochen aufritt. Mit Rücksicht auf die engen Beziehungen zwischen den attischen Skyphoi mit flachem Fuß und demjenigen aus Dirmil (s. S.38, Anm. 158) halten wir eine Datierung an das Ende der 2. Hälfte des 8. Jahrh v. Chr. für angemessen.
Der Schlangen-Kantharos aus Dirmil (Kat. 8, Inv.-Nr. 601, Taf. XVIII-XX) ist dem Stil nach jünger als die Schlangen-Amphoren aus Kera meikos (s. S. 43, Anm. 186). Es gibt zwar zwischen dem Kantharos aus Dirmil und den Oinochoecn aus Rhodos hinsichtlich der Schlangen-Ornamente Ähnlichkeiten (s. S. 44, Anm. 187-191), doch das Schlangen Motiv des Dirmil-Kantharos ist weiter entwickelt (s. S. 44). In der Form gibt es eine nahe Beziehung zu dem Kantharos aus Kos (s. S. 42), die Bemalung an der Schulter des Dirmil -Gefäßes zeigt jedoch einen weiter entwickelten Stil. Daraus ergibt sich für den Schlangen-Kantharos aus Dirmil als Zeitbestimmung das letzte Viertel des des 8. Jh. v. Chr.
Ankara 1975.