ISSN: 0041-4255
e-ISSN: 2791-6472

GOTTHARD JÄSCHKE

Nach der totalen Niederlage von Dumlupinar am 30. August 1922 erkannte die Athener Regierung die Notwendigkeit, ganz Anatolien zu räumen. Zu diesem Zweck bat sie durch ihren Hochkomissar Simopoulos[1] die alliierten Hochkommissare Pelle, Rumbold und Garroni um ihre Vermittlung. Diese authorisierten die Admirale und Generalkonsuln in Izmir, sich über gute Dienste bei der Übergabe der Stadt an die türkische Armee zu verständigen[2].

Zu einer solchen Beratung kam es aber nicht mehr, weil sich die Ereignisse überstürzten. Schon am nächsten Tage (9. September) zog die siegreiche Nationalarmee in Izmir ein. Der britische General-konsul Sir Harry Lamb[3] trat auf den Führer der Kavalleriespitze Yüzbaşı Şerefeddin zu und begrüsste ihn auf französisch mit der Nachricht, dass die Stadt von griechischen Truppen frei sei. Dieser antwortete ebenfalls auf französisch: “Da Sie die alliierten Mächte vertreten, bin ich befugt, Sie zu ersuchen, mit uns zusammen bis zur Ankunft der eigenen Gendarmerie für die polizeiliche Ordnung in der Stadt zu sorgen. Mustafa Kemal Paşa selbst wird bald liier sein[4]”.

Am 10. September suchte Lamb den Stadtkommandanten General Nureddin auf, der ihm erklärte, er sei im Zweifel über die Beziehungen zwischen der Ankara-Regierung und Grossbritannicn. Hierauf ging der Oberbefehlshaber der britischen Mittelmeerflotte Sir Osmond de Beauvoir Brock, zusammen mit dem Kommandanten des 3. Leichten Kreuzergeschwaders, seinem Stabschef Commodore Barry Domvile und Lamb, zu Nureddin und bat ihn, die Haltung der Regierung der T.B.M.M. gegenüber Grossbritannicn genauer zu definieren. Auf seine Gegenfrage: “Wie ist die Haltung Gross-britanniens?” erwiderte Brock. “Strikte Neutralität. Der Waffen-stillstand von Mudros ist noch in Kraft”. Er betonte, dass kein Kriegs-zustand zwischen Grossbritannien und der Ankara-Regierung bestehe, was Nureddin bestätigte. Dann fragte Brock, ob er die Sicherheit der britischen Staatsangehörigen in İzmir garantieren könne. Nureddin bejahte dies. Als Brock sagte, dass die britischen Matrosen abgezogen würden äusser vom Konsulat, bedankte er sich für dieses Zeichen des Vertrauens. Er fügte aber hinzu, dass die Stadt unter Kriegsrecht stehe und niemand abreisen oder landen dürfe. Er hoffe, dass die Beziehungen bald herzlicher würden, was auch Brock wünschte. Dieser berichtet schliesslich, dass Mustafa Kemal am 10. September eingetroffen sei. Demnach fand die Unterredung nach diesem Zeitpunkt statt, da Nureddin ihn begleitete[5].

Lamb begegnete Mustafa Kemal am 12. September, er behauptet, “mehr oder weniger zufällig” (more or less fortuitously) und wurde von ihm nach seiner Amtseigenschaft (capacity) gefragt. Auf seine Antwort, er sei der Vertreter des Hochkommissars in Istanbul, habe er erwidert, dass sich seine Regierung im Kriegszustand mit Grossbritannien betrachte und daher weder den Hochkommissar noch ihn selber anerkennen könne.... Er sei berechtigt, alle Briten zu internieren, was er aber nicht beabsichtige zu tun. Sic könnten abreisen, wenn sie wollten[6].

Auf den Bericht Lambs schlug Rumbold dem Foreign Office vor, dass Lamb eine schriftliche Bestätigung über das Bestehen des Kriegszustandes von Mustafa Kemal einholen solle. Dabei solle er betonen, dass Rumbold zahlreiche Noten von der Ankara-Regierung an ihn in seiner Eigenschaft als Hochkommissar erhalten habe (frequent notes from Angora Government addressed to me in my capacity as High Commissioner[7]).

Brock fasste noch am Spätabend des 12. September einen entsprechenden Privatbrief an Mustafa Kemal ab, den er am 13. um 10 Uhr vormittags durch seinen Stabschef Domvile überreichen liess. Darin heisst es: Nureddin habe am 10. September kategorisch bestritten, dsas ein Kriegszustand zwischen der Ankara-Regierung und Grossbritannien bestehe. Um aber die Möglichkeit jedes Missverständnisses zu vermeiden, habe er die Ehre, ihn um eine schriftliche Bestätigung des genauen Sachverhalts (a correct statement) zu bitten, damit er seine Regierung und diejenigen der Alliierten Mächte autoritativ’ verständigen könne. Mustafa Kemal versprach eine Antwort bis 5 Uhr nachmittags. Er fügte hinzu, dass Lamb ihn offenbar missverstanden habe[8]. Die Admiralität, der Brock das Original des Briefes übersandte, gab es am 26. September zu den Akten des Foreign Office “wegen seiner politischen Bedeutung” (in view of its diplomatic interest). Dieses hatte die Liebenswürdigkeit, dem Verfasser eine Photokopie zu überlassen. Sie wird hier erstmalig veröffentlicht[9].

Footnotes

  1. Seit 17. August 1922 in Istanbul. Er teilte mit Brief vom 14. Oktober 1922 den Beitritt Griechenlands zum Waffenstillstandsprotokoll von Mudanya mit. Vgl.: Âlî Türkgeldi, Mondros ve Mudanya Mütarekelerinin Tarihi, 1948 s. 181.
  2. F.O. 424, 254: Correspondence resp. Turkey, Part I, No. 285: Bericht Rumbolds vom 8. September 1922.
  3. Seit 19. März 1921 in İzmir.
  4. G. Ward Price, Extra-special Correspondent (1957), s. 126.
  5. Bericht Brocks vom 11. September in Corresp. No, 320-323; Price, s. 124, 126; krş.: Telegramm Mustafa Kemals an Rauf vom 10., veröffentlicht von Halûk Şehsuvaroğlu in Cumhuriyet, 5. September 1959, abgedruckt in Atatürk’ün Tamim, Telgraf ve Beyannameleri, No. 456.
  6. Bericht Brocks vom 13. September. Corresp. No. 341; krş.: Intenview Mustafa Kemals mit Price vorn 12.: Price, sf. 126 f. und G. Jäschkc, Türk Kurtuluş Savaşı ile ilgili İngiliz Belgeleri, s. 256.
  7. Bericht Rambolds vom 13. September: Corresp. No. 345.
  8. Bericht Brocks vom 14. September: Corresp. No. 361, krş.: T.B.M.M. Zabıt Ceridesi, Cilt: 23 (1960), s. 275.
  9. Inhaltsangabe des Briefes in Corresp. No. 364 und Documents on British Foreign Policy 1919-1939, First Series, Vol. XVIII (1972), No. 25, note 3: E 9978/27/44.

Şekil ve Tablolar