ISSN: 0041-4255
e-ISSN: 2791-6472

SEDAT ALP

In der Sammlung des Herrn Aydın Dikmen in Konya, von der in den vorhergehenden Seiten eine Reihe von selten schönen frühbronze- zeitlichen Marmoridolen veröffentlicht worden ist, überschattet alles andere eine goldene Gesichtsmaske (Taf. I-II ), die er kürzlich von einem Bauern erworben hat. Nach ihm soll sie aus einem Schachtgrab in einem schwer zugänglichen gebirgigen Gelände in Zentralanatolien stammen. Sie ist nicht nur deshalb interessant, weil sie für die frühen vorgeschichtlichen und geschichtlichen Perioden Anatoliens ein Unikum darstellt, sondern sic steht in engstem Zusammenhang mit den aus Goldblech getriebenen Gesichtsmasken, die Heinrich Schliemann im Jahre 1876 in den Schachtgräbern von Mykene entdeckt hatte[1]. Auch die neue Maske aus “Anatolien” ist aus Goldblech getrieben. Besonders nahe steht sie einer Maske aus dem Schachtgrab V von Mykene[2]. In ihr wollte Schliemann die Maske des homerischen Königs Agamemnon sehen. Inzwischen stellte cs sich aber heraus, dass sein Gedanke ein Trugschluss war und jener König einige Jahrhunderte später lebte.

Die kürzlich in “Anatolien” gefundene Gesichtsmaske liefert nun eine der grössten Überraschungen der letzten Jahre. Auch sie dürfte das Gesicht eines fürstlichen Toten bedeckt haben.

In der Maske aus dem Schachtgrab V von Mykene hat man den Vorläufer der griechischen Gesichtsbildung sehen wollen[3].

Die Höhe jener Maske beträgt 26 cm. Die in “Anatolien” gefun-dene Maske ist kleiner. Sie ist 12,7 cm hoch und 11 cm breit.

Trotz weniger unwesentlicher Abweichungen haben sie soviele Gemeinsamkeiten, dass man annehmen muss, dass entweder der Künstler der einen Maske von der Existenz der anderen gewusst hat oder beide Werke auf gemeinsame Vorbilder zurückgehen. Die nächstliegende Annahme ist, dass die in “Anatolien” gefundene Maske, die ich hier zum ersten Mal bekanntmache, einen Import aus Mykene darstellt. Man könnte auch in unserer Maske eine moderne Imitation des inykenischen Kunstwerkes vermuten. Der Besitzer versicherte, dass die Maske echt sei. Man will ihn während einer Reise in der Nacht zum Fundort geführt und ihm die Fundstelle gezeigt haben. Solange aber der Fundort nicht genau ermittelt ist und nicht Funde gemacht werden können, die die Authentität des Werkes bestätigen, werden Zweifel darüber nicht aus dem Wege geräumt werden können. Eine solche Arbeit zu imitieren, würde für den Fälscher allerdings nur dann lohnend sein, wenn man sie in mehreren Exemplaren herstellte. Selbst auf die Gefahr hin, dass sie eine Fälschung sein konnte, halte ich es für richtig, sie zu veröffentlichen. Man würde damit anderen Wissenschaftlern Gelegenheit geben, fails sie Duplikate kennen, diese bekanntzumachen.

Vergleich der beiden Kunstwerke:

Beide Masken stellen das Gesicht eines breitschädligen Mannes mit Schnur- und Vollbart dar. Die Augenlider sind bei ihnen auf die gleiche Weise geschlossen. Die Augenbrauen sind bei den beiden Masken durch kurze diagonale Parallelstriche gegliedert. Auch die Form der Ohren und der Nase ist ihnen gemeinsam. Die letztere verläuft bei ihnen ganz gerade. Die Lippen sind bei beiden Werken schmal. Auch die Form des Schnur-und Vollbarts ist bei beiden sehr ähnlich. Der Backenbart beginnt bei beiden Kunstwerken etwa auf der Höhe der Mitte der Ohren und ist durch unregelmässige kurze Vertikal- oder Diagonalstriche angedeutet. Der Kinnbart zeigt dagegen bei beiden Werken lange regelmässige vertikal verlaufende Strähnen. Die kleinen Abweichungen auf beiden Werken könnte man vielleicht dadurch erklären, dass man bestrebt war, Porträtswirkung zu erzielen. Der Beginn des Backenbartes liegt bei der Maske aus Mykene etwas tiefer. Der Schnurbart ist bei der Maske aus “Anatolien” breiter. Die Form der Oberlippe weicht bei ihr auch etwas ab. Sie läuft in der Mitte ganz horizontal und an den Seiten biegt sie nach unten. Der Unterlippenbart bedeckt bei ihr eine grössere Fläche, während er bei der Maske aus Mykene nur im Mittelfeld zu sehen ist. Seitlich unterhalb der beiden Ohren ist bei der Maske aus Mykene je ein Loch für einen starken Nagel angebracht. Diese Löcher fehlen bei der Maske aus “Anatolien”.

Im Ganzen und in den Einzelheiten steht die hier zum Vergleich herangezogene mykenische Maske der neuen Maske aus “Anatolien” viel näher als den übrigen Masken aus den Schachtgräbern von Mykene. Auch die Maske aus “Anatolien” dürfte in das 16. vor-christliche Jahrhundert zu datieren sein.

Da auch aus den mykenischcn Schachtgräbern ein anatolisches Silberrhyton in Form eines Edelhirsches bekannt ist[4], würde die neue Maske aus “Anatolien” ein neues Zeugnis für die engen Bezie-hungen zwischen den beiden Ländern im 16. vorchristlichen Jahrhundert ablegen. Um die Aufhellung jener Beziehungen in den vorgeschichtlichen Perioden hat man sich eifrig bemüht. Für die Frühe Bronzezeit möchte ich auf eine wichtige Arbeit von Machteid Mellink hinweisen[5].

In der Blütezeit der minoischen und der mykenischen Kultur waren jedoch in diesem Zusammenhang grosse Lücken vorhanden. K. Bittel hat ein Spiralen- oder Volutenornament, das auf den Grab-stelen von Mykene bezeugt ist, auf einem hethitischen Metallgürtel aus Boğazköy festgestellt[6]. F. Matz hat zur Klärung der Wechsel-bezüge zu jenen Perioden einen schönen Beitrag geleistet. Er hat den ursprünglich minoischen Spiralenbaum, der auch in Mykene vor-kommt, auf dem Hörncrhelm der Sphinge von Yerkapu in Boğazköy erkannt[7]. E. Akurgal hat dargelegt, dass die kürzlich in Mykene aufgefundenen Trinkgefässe in Form von schnabelschuhförmigen Stiefeln mit bemalter geometrischer Ornamentik entweder anatolisch sind oder dass sie unter starkem anatolischen Einfluss entstanden sind[8]. T. Özgüç und N. Özgüç haben in der Ausgrabung von Fraktın östlich von Kayseri eine mykenische Vase und ein Messer des ägäischen Typus gefunden[9].

Die neuen Siegelfunde aus Karahöyük bei Konya versprechen hier auch einige Lücken zu schliessen. In diesem Zusammenhang möchte ich hier eine Bleifigurine aus Alişar[10], die einen geflügelten bärtigen Gott mit einem Vogel auf dem Kopf und zwei nach den Seiten strebenden Vögeln darstellt, mit einem goldenen Schmuckblech aus dem III. Schachtgrab von Mykene[11] vergleichen. Beide Werke sind einander sehr ähnlich, mit dem Unterschied, dass die in Mykene gefundene Figur, die keine Flügel hat, eine Göttin ist. Der mykenische Goldschmuck ist entweder ein Importstück aus Anatolien oder unter anatolischem Einfluss entstanden. Auch der Kopf eines Goldblechfigürchens aus demselben Schachtgrab in Mykene[12] ist mit einem männlichen Kopf aus Kültepe[13] vergleichbar.

Man sollte sich nicht beeilen, die Goldmaske aus “Anatolien” endgültig als mykenisch zu erklären, obwohl sie in Anatolien vor-läufig isoliert dasteht. Angeblich soll man auf derselben Fundstelle eine weitere Gesichtsmaske gefunden haben, für die man einen un-möglichen Preis forderte. Herr Dikmen konnte sie daher nicht kaufen. Der Gesichtstypus unserer Maske wirkt zwar mit seinem Schnur- und Vollbart unhethitisch, allerdings nach dem Vergleich mit den Denkmälern aus der Grossreichszeit, d.h. aus der zweiten Hälfte des 2. Jahrtausends vor Christi, in denen die Männer meist rasiert und niemals mit Schnurbart erscheinen. Aber in den Perioden vorher, zum Beispiel bei den Bleifigurinen bzw. Gussformen aus Kültepe, Alişar und Karahöyük bei Konya sind männliche Typen oft mit Vollbart aber auch ohne Schnurbart dargestellt[14]. Es fehlt für unsere Maske aus “Anatolion” leider gleichzeitiges Vergleichsmaterial aus der althethitischen Periode.

Selbst, wenn die hier vorgelegte Maske echt ist, muss die Frage, ob sie ein Importstück aus Mykene darstellt oder in Anatolien enjstanden ist, vorläufig offen bleiben.

Footnotes

  1. G. Karo. Schachtgräber aus Mykenai, München 1930/1933 Taf. XLVII-LII.
  2. Derselbe, a.a.O. Taf. LII; F. Matz, Kreta und Frühes Griechenland, 1962 S, 166 B. A. 18; A. M. Mansel, Ege ve Yunan Tarihi, Türk Tarih Kurumu, Ankara 1963 S. 67 Abb. 45.
  3. Vgl. Matz, a.a.O.
  4. Karo, a.a.O. Taf. CXV-CXVI (= Bossert, Altanatolien Abb. 8-9); E. Akurgal, Die Kunst der Hethiter S. 25.
  5. Μ. Mellink, The royal tombs at Alaca Hüyük and the Aegean World, The Aegean and the Near East, Studies presented to Hetty Goldman S. 39-58.
  6. K. Bittel, Mitteilungen der Deutschen Orient-Gesellschaft Nr. 74 S. 25 ff. Zur Verbreitung des gleichen Ornaments vgl. H. J. Kantor, The Aegean and the Orient in the Second Millenium B. C., The Archaeological Institute of America, Monograph Number I, 1947, S. 26 f.
  7. F. Matz, Zu den Sphingen vom Yerkapu in Boğazköy, Marburger Winckelmann-Programm 1957, S. 1-5.
  8. E. Akurgal, a.a.O. S. 25.
  9. T. Özgüç, Belleten Nr. 45 S. 267; N. Özgüç, Belleten Nr. 75 S. 303. Für mykenische Beziehungen vgl. auch E. Laroche, Importations Mycéniennes A Boghaz-Köy?, Minos III S. 8-9.
  10. E. Schmidt, Oriental Institute Publications vol. XIX S. 128 Fig. 157, b 1599.
  11. Karo, a.a.O. Taf. XXVII 27. Vgl. auch Nr. 28.
  12. Derselbe, a.a.O, Taf. XXVII 36.
  13. T. Özgüç, Ausgrabungen in Kültepe 1949, Taf. XL 279; E. Akurgal, a.a.O. Taf. 31 oben links.
  14. Vgl. auch die Bronzestatuette, Bossert, Altanatolien Abb. 348 (= K. Bittel, Boğazköy, Die Kleinfunde, Leipzig 1937 S. 4 f. Taf. I, la/b).