ISSN: 0041-4255
e-ISSN: 2791-6472

SEDAT ALP

In der Sammlung des Antiquitätenliebhabers Aydın Dikmen in Konya befinden sich eine Reihe von flachen Marmoridolen von hoher Qualität und sehr gutem Erhaltungszustand. Sie dürften das Interesse sowohl der Spezialisten auf altanatolischem und ägäischem Gebiet als auch weiterer Kreise beanspruchen. Ihrem Besitzer möchte ich an dieser Stelle für die Erlaubnis, sie zu publizieren, herzlich danken.

Nach der freundlichen Mitteilung von Herrn Dikmen hat er sämtliche Stücke während seiner Reisen im südwestlichen Anatolien von Bauern erworben. Die Fundortsangaben hat er auch von ihnen ermittelt. Es war mir leider nicht möglich, die in Frage kommenden Orte zu besuchen und mich persönlich von der Richtigkeit der gesammelten Auskünfte an Ort und Stelle zu überzeugen.

Nr. 1-4 (Tafel I-II) : Idole aus Kusura.

Alle diese vier Stücke sollen in den Gräbern in der Nähe des Dorfes Kusura, südlich von Afyon Karahisar gefunden worden sein. Siehe dazu W. Lamb, Excavations at Kusura near Afyonkarahisar, Archaeologia, LXXXVI 1-64, LXXXVII 217-273. Nr. 1-2 mit ovalem scheibenförmigem Kopf, langem Hals und fast rechteckiger Körperform, die beiden Ecken unten etwas abgerundet, sind äusserst schematische und abstrakte Darstellungen. Nr. x zeichnet sich durch seinen ausserordentlich langen Hals und seine Grösse aus. Masse bei der Nr. 1 : Höhe 29 cm, Breite des Kopfes 6 cm, Breite des Körpers 11,5 cm. Dicke in der Mitte 5 mm, am Rande 4 mm. Bei Nr. 2: Höhe 16 cm, Breite des Kopfes 6 cm, Breite des Körpers 10,1 cm, Dicke 4 mm. Ein ähnliches, sehr grosses Marmoridol (Höhe 28 cm) mit rundem, scheibenförmigem Kopf, langem Hals und fast quadratförmigem Körper ist schon von Lamb publiziert worden: Archaelogia LXXXVII Pl. LXXXIV Nr. II (siehe dazu S. 266) (= Bossert, Altanatolien Abb. 125). Vgl. auch das Fragment, Lamb, a.a.O. Fig. 17/4. Nahe stehen auch die trojanischen Idole der II. Schicht, H. Schmidt, Heinrich Schliemann’s Sammlung Trojanischer Altertümer, Berlin 1902, S. 279 Nr. 7520 und Nr. 7521 (= W. Dörpfeld, Troja und Ilion, I, Athen 1902 S. 379 Fig. 344 f-g), vorgclegt unter dem Material der II.-V. Schicht, und C. W. Biegen, - J. L. Caskey - Μ. Rawson -J. Sperling, Troy, Vol. I, Part 2, Princeton 1950: Plate 360, 36-84 etc. Ihnen sind hinzugekommen die in ihrer Form sehr ähnlichen Marmoridole, die Μ. Mellink vor kurzem in den frühbronzezeitlichen Gräbern in Karataş - Semayük in der Nähe von Elmalı in Lykien entdeckt hat : Μ. Mellink, Excavations at Karataş - Semayük in Lycia 1963, American Journal of Archaeology Vol. 68, 1964 S. 277 Taf. 82, Fig. 24. Sie zitiert dazu auch verwandte Stücke aus Samos (V. Milojcic, Samos I, Die prähistorische Siedlung unter dem Heraion, Grabung 1953 und 1955, Bonn 1961, Taf. 34: 5) und Parallelen aus der Insel Lebedos auf den Kykladen (Chr. Zervos, L’Art des Cyclades, Paris 1957, 80 Fig. 52). Die Entstehung jener kykladischen Idole ist wahrscheinlich auf anatolischen Einfluss zurückzuführen.

Nr. 3 mit rundem, scheibenförmigem Kopf, langem Hals und verhältnismässig breitem Körper. Der Körper ist an den Seiten und unten abgerundet, Masse : Höhe 17,2 cm, Breite des Kopfes 4 cm, Breite des Körpers 12,7 cm, Dicke 6 mm. Nächste Parallelen liegen aus Troja (H. Schmidt, a.a.O. S. 279 Nr. 7549 = W. Dörpfeld, a.a.O. S. 380 Fig. 345 b) und aus Karataş - Semayük (Mellink, a.a.O. S. 277 Taf. 82 Fig. 24 links) vor.

Nr. 4 mit ovalem, scheibenförmigem Kopf und runde Linien aufweisendem Körper, bei dem die Taille angedeutet ist. Der Ober-körper ist breiter als der Unterkörper. Höhe 16,5 cm, Breite des Kopfes 4,2 cm, Breite des Oberkörpers 11,5 cm, Breite des Unter-körpers 7,7 cm, Dicke in der Mitte 6 mm, am Rande 4 mm. Aehnliche Marmoridole, bei denen die Taille angedeutet ist, sind aus Beycesultan, aus den Schichten XVII-XIV, erste und mittlere Phase der Frühen Bronzezeit, und aus Troja bekannt: S. Lloyd-J. Mellaart, Beycesultan I, London 1962 S. 266 Fig. F 1 ; H. Schmidt, a.a.O. S. 279 Nr. 7574 (= W. Dörpfeld, a.a.O. S. 380 Fig. 346 b), vorgclegt unter dem Material der IL - V. Schicht. Besonders Beycesultan Fig. F 1/19 aus der Schicht XIV, mittlere Phase der Frühen Bronzezeit, kommt unserem Stück ziemlich nahe. Bei Beycesultan Fig. F 1/17, Schicht XVII c, sowie dem trojanischen Stück ist der Oberkörper enger als der Unterkörper. Es dürfte sich bei ihnen um weibliche Figuren handeln. Zur Körperbildung vgl. auch die Nummern 7,8 und 9 unserer Publikation.

Nr. 5-6 (Tafel III ) : Idole aus Ürküt.

Diese beiden Idole mit scheibenförmigem Kopf und länglich abgerundeter Körperbildung sollen kürzlich im Dorf Ürküt bei Comaklı südlich von Burdur, auf der Strasse zwischen Burdur und Antalya, gefunden worden sein. Masse bei der Nr. 5 : Höhe 21 cm, Breite des Kopfes 6,6 cm, Breite des Körpers 9,5 cm, Dicke 4 mm. Bei der Nr. 6 : Höhe 17,5 cm, Breite des Kopfes 7,3 cm, Breite des Köpers 8,7 cm, Dicke 5 mm. Nächste Parallelen liegen aus Troja aus den Schichten II und III vor : H. Schmidt, a.a.O. S. 279 Nr. 7461-7462 (= W. Dörpfeld, a.a.O. S. 379 Fig. 344 d, e); Belegen, Troy, Vol. I PI. 360, Vol. II PI. 48. Zur Form vgl. auch Ş. A. Kansu - T. Özgüç, Belleten V, Nr. 19, 1941 S. 255-260, Taf. LXXV Nr. 4.

Nr. 7 (Tafel IV ) : Idol aus Karaağaç.

Dieses Stück, das grösste und wohl das schönste der Marmoridole der Sammlung von Aydın Dikmen, soll in einem Pithosbrandgrab nicht weit von dem Höyük beim Dorf Karaağaç bei Isçehisar im Vilâyet Afyon gefunden worden sein. Neben den gebrannten Knochenresten hat man als Beigaben auch eine kleine Schnabelkanne und ein “depas amphikypellon”, beide dunkelgrau, gefunden. Das letztere Stück erinnert an die trojanischen “Depata”. Das Idol zeichnet sich durch seinen ovalen, scheibenförmigen Kopf, ausserordentlich langen Hals, enge Schultern oder stark stilisierte Arme und breiten, sackförmigen Unterkörper aus. Es wirkt sehr elegant und dürfte eine weibliche Figur vielleicht die Muttergöttin dargestellt haben. Es bildet die Zwischenstufe zwischen den unter Nr. 8-9 publizierten “violinför- migen” Idolen und den im Vorhergehenden behandelten Idolen mit scheibenförmigem Kopf. Masse: Höhe 37 cm, Breite des Kopfes 8,6 cm, Breite des Körpers 15,5 cm. Dicke in der Mitte 7 mm, am Rande 4 mm. Ein gedrungenes Stück ähnlicher Form befindet sich im Museum von Manisa und ist von Bossert, Altanatolien unter Nr. 133 abgebildet. Mellaart, a.a.O. S. 269 zitiert ein “violinförmiges” Marmoridol mit scheibenförmigen Kopf (“disc- like head”) aus Dorak, das wahrscheinlich auch unserem Stück ähnlich ist. Nach ihm soll jenes Idol in einem Zusammenhang gefunden worden sein, der eine Datierung in die zweite Phase oder ans Ende der Frühen Bronzezeit gestattet.

Nr. 8-9 (Tafel V ) : “Violinförmige” Idole aus Ağın.

Sie sollen im Dorfe Ağın in der Nähe von Sandıklı nordöstlich von Kusura gefunden worden sein. Die Schematisierung ist bei ihnen soweit gegangen, dass Kopf und Hals ineinander übergehen. Beide sehen wie ein langer Stiel aus. Schulter bzw. Arme sind stark stilisiert. Der Unterkörper ist sackförmig. Sie stellen wahrscheinlich weibliche Figuren dar. Masse bei der Nr. 8: Höhe 13,5 cm, Breite zwischen den Schultern 6,5 cm, Breite des Unterkörpers 7,7 cm, Dicke 7 mm. Bei der Nr. 9: Höhe 10,5 cm, Breite zwischen den Schultern 5,3 cm, Breite des Unterkörpers 5,3 cm. Dicke 6,5 mm. Diese beiden Idole sind fast identisch mit flachen “violinförmigen” Idolen aus Beycesultan, die dort in der Schicht XVII, die dem Ende der ersten Periode der Frühen Bronzezeit angehört, gefunden worden sind. Siehe Mellaart, a.a.O. S. 266 Fig. F 1/1-14. Er zitiert auf S. 269 eine Parallele dazu aus der Yortan-Kultur (Bossert, Altanatolien Abb. 129), drei von Karacaahmet, nordwestlich von Afyon Karahisar und eine aus Dorak. Den Informationen des Herrn Dikmen nach soll diese Art Idole auch in einer Reihe von Orten in Südwestanatolien gefunden worden sein.

Wie schon mehrfach betont, sind eng verwandt mit den “violin-förmigen” westanatolischen Idolen die kykladischen Idole sehr ähn-licher Form (Tsountas, Ephemeris Archaiologike 1898 PI. 11, Zervos, a.a.O. Taf. 57-58), die ihren Ursprung wahrscheinlich auch dem anatolischen Einfluss verdanken: Vgl. Bittel, Prähistorische Forschung in Kleinasien, Berlin 1934 S. 36 f. ; Bossert, Altanatolien S. 23 unter Nr. 129; Biegen, Troy, vol. I 45 f.; Matz, Kreta und Frühes Griechenland, Baden Baden 1962 S. 60 f.; Malaart, a.a.O. S. 271.

Nr. 10-11 (Tafel VI-VII) : Idole aus Anayurt.

Diese beiden Marmoridole sollen bei den Grabungsarbeiten für die Fundament? der neuen Schule im Dorfe Anayurt bei Şuhut im Vilâyet Afyon gefunden worden sein. Masse bei der Nr. 10: Höhe 13 cm, Breite 4,5 cm, Breite das oberen Kopfes 3,4 cm, Breite des un-teren Kopfes 3,7 cm, Dicke 6 mm. Bei der Nr. 11: Höhe 17 cm, Breite das oberen Kopfes 4,3 cm, Breite des unteren Kopfes 3,6 cm, Dicke 6,5 mm. Im Gegensatz zu den vorhergehenden, die keine inzisierten Flächen zeigen, sind diese Idole mit solchen Linien verziert. Die Schematisierung hat hier einen sehr hohen Grad erreicht : Köpfe und Oberkörper sind bei ihnen fast ganz symmetrisch wiederholt worden. Die Unterkörper hat man dagegen vielleicht nicht zum Ausdruck gebracht. Die Köpfe wurden bei beiden Stücken durch kurze Striche verziert, die vielleicht Haare andeuten. Beim unteren Kopf der Nummer 10 sind auf der Rückseite keine Verzierungen angebracht. Der obere Kopf bei der Nr. 11 ist grösser und spitzer als der untere. Nach den vertikalen Parallelstrichen am Nacken auf der Rückseite der Nr. 10 zu urteilen, die wahrscheinlich Nackenhaarc andeuten, stellt sie wohl eine weibliche Figur dar. Auf der Vorderseite der Nr. 10 sind die Hälse oder Halsketten durch je einen Halbkreis betont worden. Die V-förmigen Verzierungen in der Mitte der Vorderseite, die sich 6 mal wiederholen, könnten das weibliche Scham angedeutet haben. Dagegen wird die Rückseite durch zwei parallele Linien in zwei Hälften geteilt. Sie markieren vielleicht die Grenze der beiden Körperhälften. Nr. 11 dürfte, aus der Form zu schliessen, ein männliches Idol darstellen. Der Körper der Figur ist durch ein Zickzackband verziert. Bis auf eine geringfügige Abweichung erscheint das gleiche Band auch auf der Rückseite. Dieses männliche Idol ruft die Phallus - Gelasse ins Gedächtnis. Vgl. Bessert, Janus, 1959 S. 25 und Orientalia 29, i960 S. 318. Beide Idole sowie alle weiblichen Idole derselben Periode dürften mit den Fruchtbarkeitsvorstellungen zu tun haben. Für diese Art von Marmoridolen, die hier als Nr. 10-11 veröffentlicht worden sind, kenne ich keine gut erhaltenen Parallelen. Sie stehen vorläufig isoliert da. Nur der Kopf eines Idolfragments aus Marmor, das in Beycesultan in der XIII. Schicht, in der mittleren Phase der Frühen Bronzezeit, gefunden worden ist, Mellaart, a. a. O. Fig. F 1/21, ist mit der Kopfform unserer Idole, besonders mit der von Nr. 11, verwandt.

Die Nummern 8-9 sind die ältesten unter unseren Idolen. Ihre Datierung ist durch eine Anzahl von Parallelen aus Beycesultan sichergestellt, vgl. S. 10. Sie stammen alle aus dem letzten Abschnitt der ersten Phase der Frühen Bronzezeit, etwa aus dem Ende der ersten Hälfte des 3. Jahrtausends. Allerdings bleibt vorläufig ihre obere und untere Grenze noch ungewiss. Flache Idole mit abgerun-detem, scheibenförmigem Kopf, bei uns Nr. 1-7, erscheinen zum ersten Mal in der II. Schicht von Troja in grösserer Anzahl und dauern in der III. Schicht mit weniger schönen Exemplaren weiter an. In Beycesultan sind einige solche Stücke aus der XVI. und XIV. Schicht bekannt geworden, die der mittleren Phase der Frühen Bronzezeit angehören. Nach unserer Erörterung auf S. 11 dürften die Idole Nr. 10-11 auch in dieselbe Periode zu datieren sein.

Die vorliegenden Funde sind auch deshalb von Bedeutung, weil sie noch einmal die Gemeinsamkeit der nordwest- und südwestana-tolischen Kulturen während der ersten und mittleren Phase der frühen Bronzezeit demonstrieren und ihren starken Einfluss auf die Kykladen nahelegen.