Das uralte Motiv des Doppellöwen, welches man von der alt-orientalischen Kunst ab bis ins Mittelalter verfolgen kann und das besonders in der romanischen Kunst mit neuem religiös-symboli-schem Gehalt vielfältig wieder auftauchte, gibt uns an Hand eines Reliefs am Alay Han in Mittelanatolien (in der Nähe von Aksaray) einen neuen Einblick in die Darstellungskreise seldschukischer Herrscherbauten.
Besagtes stark stilisiertes Relief befindet sich in einem kleinen Feld über dem Türsturz dieses als Alay Han bekannten Kervan- sarays. (Abb. 1) Besonderes Merkmal ist ein Kette (oder Schnur) artiges Halsband welches zwischen den Vorderbeinen der beiden Körper, vom gemeinsamen Kopf herab hängt.
Da es im islamischen Bereich nicht solch zahlreiche Beispiele wie in der romanischen Kunst gibt, beschränken sich die Parallelen dieses Reliefs auf drei Darstellungen. Eine davon ist in der Cappella Palatina in Palermo in sehr dekorativer Art ausgeführt. Die beiden anderen gehören bezeichnenderweise der seldschukischen Periode an. Die Steinplatte (Abb. 2) im Louvre, stammt aus Nordiran und ist im seldschukischen Stil des 11-12. Jahrhunderts. Sie wird im Museum als Grabstein bezeichnet, gleicht aber viel mehr einer Treppenwange. Es ist höchst wahrscheinlich, dass sie zu einer Gruppe von Steinplatten zählt, die heute verstreut in amerikanischen Museen, der Treppe eines seldschukischen Palastes in Iran angehört haben sollen.
Das dritte Beispiel steht auch in einem seldschukischen Palast des II. Jahrhunderts in Tirmiz (Gegend Uzbek in Türkistan). (Abb. 3) Es füllt ein Spitzbogenfeld in einem grossen Saal (vielleicht Thronsaal?) mit Stukdekoration. Die dekorative Behandlung gleicht dem Doppellöwen der Cappella Palatina, Stilisierung des Kopfes jedoch ähnelt sehr dem Alay Hanrelief.
Es ist bezeichnend dass alle drei seldschukischen Darstellungen sich in reprcsantativen Bauten befinden. Der Alay Han ist ein Sultan Han -das erste der grossen Kervansarays die von den seldschukischen Sultanen gebaut wurden. Der Bauherr ist sehr wahrscheinlich Kılıç Arslan II (1196-1203) und der Han gehört seiner Dekoration nach in die “archaische” Gruppe (1180-1220) der seldschukischen Bauten in Anatolien, ist also ein Frühwerk und rückt somit dem Tirmizer Palast näher. Eine weitere Beziehung zwischen beiden Bauten ist dasselbe geometrische Muster welches am Portalrahmen des Alay Han sowie an einem Pfeiler neben dem Relief in Tirmiz zu sehen ist. Solche Ähnlichkeiten in der Baudekoration zwischen Türkistan und Anatolien sind so bemerkenswert da sie die Verbindungen der anatolischen Seldschuken mit ihrer alten Heimat zeigen und wegen Mangels an Material auf wenige Beispiele beschränkt beiben.
Dass diese Darstellugen nicht rein dekorativ sind, macht uns das Halsband der Alay Hanlöwen klar. Der Löwenkopf im Louvre hat ebenso ein gekettetes Band am Hals. Solch gekettete und gebundene Löwen gab es schon im Alten Orient und bei den Hethitern als Tor und Thronhütcr. Wie A. Grabar hinweist11, lebt diese Idee in den islamischen Kunstkreisen seit dem 8. Jahrhundert weiter.
Der Doppellöwe als Torhüter am Alay Han bezeichnet die Sicherheit des Hans. Löwen an Toren sind immer doppelt. Hier hat man zwei Löwen und in ihrer Gestaltung mit gemeinsamen Kopf sind sie sehr geeignet als wappenartig frontale und symmetrische Figur über einem Torbogen. Da der Löwe in erwähnter Funktion nur an Herrscherbauten auftritt, ist er auch hier ein Herr-scherzeichen und deutet an, dass der Bau ein Sultan Han ist.
Der Tirmizer Doppellöwe mit seiner Gorgonenhaften Erscheinung spielt wieder die Rolle des Hüters, Vertreibers des Bösen. In Hinsicht der Wahrscheinlichkeit des Baues als Königspalast, ist auch er ein Herrschaftszeichen. Das Relief im Louvre müsste denselben Sinn erfüllen. Der Löwe, dieses uralte Symbol von Macht und Herrschaft, scheint in dieser wappenartigen Form des Doppellöwen seinen Platz als Hüter seldschukischer Sultansbauten eingenommen zu haben.